Unser Retter vom Velodrom

Früh am Montag fahren wir mit der Marshrutka von Sighnaghi nach Tbilissi. Unsere Zuversicht auf eine baldige Lösung ist in der Zwischenzeit wieder etwas gesunken. Am Vorabend trafen wir auf dem Heimweg vom Nachtessen einen Veloreisenden aus Dresden, der uns von Khvicha, dem Velomechaniker, nur Negatives zu berichten wusste. In Tbilissi eingetroffen, machen wir uns auf den Weg zum Velodrom, wo Khvicha seine Werkstatt hat. Der erste Anblick des Velodroms und der umliegenden Schuppen können unseren Mut auch nicht heben. Von Khvicha ist nichts zu sehen, dafür kurvt in der Mitte des Velodroms ein Fahrlehrer mit seiner Schülerin rum. Wir setzen uns auf die paar Plastiksessel der Tribüne und warten. Nach einer gewissen Zeit kommt die Fahrschülerin auf uns zu und fragt auf Englisch, ob wir Khvicha suchen. Anscheinend existiert unser Mann doch, denn der Fahrlehrer hat seine Telefonnummer und versucht, ihn anzurufen. Aber vergeblich. So warten wir weiter. Um uns die Zeit zu vertreiben, suchen wir den McDonalds an der Marjanishvili-Metrostation auf, der als einzig vernünftiges Menü ein WLAN anzubieten hat. Als wir nach ca. einer Viertelstunde wieder zum Velodrom kommen, ist Khvicha effektiv aufgetaucht. Aus seinem Gemisch aus Georgisch und Russisch, Händen und Füssen entnehmen wir, dass Khvicha sowohl Trainer wie Mechaniker auf der stillgelegten Rennbahn war. Sodann äussert er seine Wut über den georgischen Präsidenten Sarkatchwili, der die aus dem Jahre 1886 stammende Rennbahn aus Geldmangel schliessen liess. Im jetzigen Zustand würde ein Rennvelo auf dem holprigen, mit Gras und Büschen überwachsenen Belag kaum mehr als eine Runde überleben, und Khvicha wäre mit den Reparaturen ein sicheres Einkommen als Mechaniker garantiert.

Dann beginnt Khvicha zu zaubern: Zielstrebig führt er uns ans andere Ende des Ovals, öffnet einen alten Schuppen und fördert mit sicherem Griff eine 36-Loch-Felge ans Tageslicht. Auch in der Schweiz sind diese Felgen nicht gerade überall zu finden. Zurück in der Werkstatt macht er uns als seriöser Geschäftsmann einen Kostenvoranschlag. 500 US-$ schreibt er auf einen Zettel und wartet unsere Reaktion ab. Doch bevor wir zum Protestieren kommen, rundet er den Betrag auf ca. 40 $ ab und lacht verschmitzt dazu. Zur Beruhigung erwähnt er, dass er einem früheren Schweizerkunden mit 1000 $ schockiert hätte. Dann beginnt er mithilfe eines zufällig anwesenden Kunden die Felge einzuspeichen. Wir unterhalten uns in der Zwischenzeit mit einem emeritierten Schwergewichtsboxer, ebenfalls ein Radfahrer und Kunde von Khvicha. Dieser spricht Englisch und ein wenig Deutsch, da er drei Jahre in Frankfurt trainierte.

Als es um die Feinzentrierung der Felge geht, stellt sich heraus, dass die Speichen zu lange sind. Inzwischen ist ein neuer Kollege von Khvicha eingetroffen, der die Felge wieder ausspeicht, während er sich in Tbilissi auf die Suche von kürzeren Speichen macht. Ein neuer Kunde taucht auf. Wir radbrechen auf Englisch, aber dann stellt sich heraus, dass der junge Mann die italienische Schule in Tbilissi besucht hat, und so sind die Sprachprobleme behoben. Er erzählt uns sehr Interessantes aus der georgischen Geschichte, gibt uns aber auch viele touristische Geheimtipps zu Sehenswürdigkeiten und Unterkünften. Als Khvicha mit den Speichen zurück kommt, wird auch dieser Kunde als Gehilfe eingespannt. So kommen wir schlussendlich zum ersehnten, neuen Hinterrad für Rosa Maria. Khvicha, der uns den Eindruck eines sehr versierten und erfahrenen Mechanikers gemacht hat, meint schmunzelnd, das Rad wäre nun so perfekt rund, dass die Fahrerin ob des ruhigen Laufes auf dem Velo einschlafen würde. Sollte dennoch ein Problem auftauchen, stünde er jederzeit zu unserer Verfügung, um uns aus der Patsche zu helfen. Als er hört, dass wir seine Dienste im Internet anpreisen werden, strahlt er stolz.

Hier noch seine korrekte Adresse: D. Uzdnaze st. 89, (erste Querstrasse rechts zur Marjanishvilistrasse auf dem Weg von der Metrostation zum Fluss). Mobiltelefon:    +99599100459. cycling_georgia@yahoo.com.

Mit grosser Erleichterung und bereichert um ein paar weitere spannende Bekanntschaften machen wir uns mit dem neuen Rad auf die Suche nach dem Busbahnhof.

Der Eingang zum alten Velodrom von 1886

Die Tribüne steht zwar noch, doch wird sie höchstens von wartenden FahrschülerInnen genutzt

Oval der ehemaligen Velorennbahn

Auch in Georgien läuft (fast) nichts ohne Mobiltelefon. Über der Türe Khvichas Name auf Georgisch

Khvicha mit seinem Kunden und Helfer

Zwecks einfacherer Übertragung der Speichen vom alten aufs neue Rad wurden die zwei Felgen miteinander verbunden.  

Die neue Felge wird mit grösster Sorgfalt und Konzentration zentriert.

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