Letzte Ereignisse und Erlebnisse in Kirgistan

Während Reto auf unwegsamen Schotterpfaden die letzten 15 km zum „Juwel von einem Bergsee“ hinauffährt, richte ich mich schon am Vormittag im Zelt ein und beschliesse, vorerst mal – ausser ein wenig altem, hartem Brot – gar nichts zu essen. Ich habe wieder einmal Mühe mit dem Essen. Alles widerstrebt mir und mir ist immer ein wenig übel.

Ich sitze an einen grossen Nussbaum gelehnt auf einem Stein. Ohne genau hinzusehen, bemerke ich hinter einer Hecke zwei Kinder, die mich beobachten. Ein weiteres kommt dazu und später eine junge Frau, der ich dann kurz zuwinke. Bemerkt haben sie unser Zelt ohnehin schon längst. Ich bleibe sitzen, die anderen sind etwas weiter gegangen, kauern jetzt aber schon eine ganze Weile schräg hinter mir. Was sie wohl von mir wollen? Hätten wir das Zelt hier nicht aufstellen dürfen? Jetzt ist sicher schon mehr als eine halbe Stunde vergangen, und noch immer sind sie da, in respektvollem Abstand hinter mir, und sprechen laut miteinander. Jetzt kommt Bewegung in das Grüppchen. Eins der Kinder nähert sich vorsichtig und spricht mich an. Von allem, was mir das Kind sagt, erkenne ich nur ein Wort, weiss aber nicht mehr, was es heisst: „Kukurusch“ oder so ähnlich. Da ich nicht verstehe, kommt nun auch die Frau und mit ihr die zwei anderen Kinder. Aus dem mitgebrachten Sack bietet sie mir eine Handvoll Maiskolben an, die sie eben vom nahen Feld eingesammelt hat. Erst jetzt dämmert es mir: Kukurusch, Polenta, Mais. Ich zeige auf meinen Bauch und sage, dass Tee gut sei und Essen schlecht. Ich weiss nicht, warum ich ablehne, warum ich ihnen die Freude nehme, mir etwas schenken zu können. Wenn schon nicht für mich, hätte ich es doch für Reto annehmen und kochen können.

Ähnliches ist uns schon auf dem Weg nach Arslanbob passiert. Wir kommen durch ein kleines Dorf und fragen, ob es hier einen Laden gibt. Ein Mädchen zeigt zum Haus etwas oberhalb der Strasse und führt uns hin. Oben angekommen, erweist sich der Laden als einfache Chaikhona, und wir werden gebeten, einzutreten und auf dem Hochsitz Platz zu nehmen und hier Tee zu trinken. Doch wir wollen nur etwas Kühles zu trinken kaufen, am liebsten Mineralwasser. Aber das gibt es hier nicht. Die Getränke sind zimmerwarm, im Kühlschrank hats nur Bier, und danach steht uns der Sinn trotz Hitze nun doch noch nicht. Also kaufen wir eine Flasche Birnenmost, das einzige, was uns von der ganzen Auswahl einigermassen passt. Wir wollen gehen, doch die inzwischen dazu gekommene Mutter möchte, dass wir bleiben und Tee trinken. Nochmals lehnen wir ab. Oder ob wir nicht ein wenig Kefir (Trinkyoghurt) möchten. Hier können wir nicht ablehnen, das ist etwas, das wir beide sehr gerne haben. Eine Literflasche wird fast gefüllt. Als ich bezahlen will, lehnt die Frau vehement ab. Jetzt bringt sie auch noch ein frisches Brot und erklärt mir, dass es typisch kirgisisch sei und sie es selber mache. Ich versuche zu erklären, dass wir bereits Brot haben, welches wir unten im Tal gekauft haben, und gebe es ihr zurück. Als wir schon wieder die Schuhe angezogen haben, bringt sie uns zwei (original verpackte) Glacéstängel, die wir nun sehr gerne annehmen. Wir verabschieden uns und ich realisiere einmal mehr, wie viel Freude das Beschenken macht und wie schön es ist, wenn man etwas zu verschenken hat, das eine andere Person benötigt oder brauchen kann.

So vieles wollten sie mir schenken

Als wir ein paar Tage später – nach unserem Abstecher zum Sary Chelek – zurück an die Hauptstrasse Osh-Bishkek kommen, bin ich nach weniger als einer Stunde so erschöpft, dass ich Reto sage, dass wir für die Strecke nach Bishkek eine Transportmöglichkeit suchen müssen. Wir haben schon ein paar Mal darüber gesprochen, und ich weiss, dass diese Option Reto sehr unglücklich macht. Es ist eine Notlösung, wenn gar nichts mehr geht. Und jetzt ist es soweit. Ich leide so stark unter der Hitze, mir ist dauernd halb schlecht, und ich hab einfach keine Kraft mehr zum Velofahren. Plötzlich geht alles sehr schnell. Wir haben noch gar nicht fertig diskutiert, als wir schon von Taxifahrern belagert werden, die uns nach Bishkek fahren wollen. Reto handelt einen von ihnen von 3000 auf 2000 Som herunter. Und schon beginnen die Umstehenden, unser Gepäck und die Velos auf den Dachträger eines alten Audis zu laden. In weniger als einer Stunde sind wir reisefertig, doch dann warten wir eine weitere Stunde. Der Chauffeur holt noch einen weiteren Passagier und lädt verschiedene Waren in den Kofferraum, die er in der Hauptstadt auslierfern wird.

Als wir über die Berge vor dem Toktogulsee und die zwei eindrücklichen Pässe von über 3000 m kommen, bricht es Reto fast das Herz. Wie gerne würde er diese Strecke selber fahren, anstatt in dieser Kiste eingeschlossen zu sein und die annährend 500 km in weniger als 7 Stunden absolviert zu haben. Ich weiss, er macht es nur mir zuliebe.

In Bishkek quartieren wir uns im Sakura Guesthouse ein, wo wir schon im letzten Jahr ein paar Tage gewohnt haben. Hier treffen wir viele Velofahrer wieder, die wir früher schon gesehen haben, oder von denen uns andere Reisende erzählt haben. Es ist erstaunlich, wie viele Schweizer in Zentralasien auf Velos unterwegs sind. Es ist sicher diejenige Nation, die zahlenmässig am stärksten vertreten ist.

Wir versuchen, für einen der nächsten Tage einen Flug nachhause zu buchen, und entscheiden uns schliesslich für Turkish Airlines am Montag, 27.  August 2012, via Istanbul. Wir organisieren zwei grosse Kartons für die Velos und bereiten uns moralisch auf das Ende unserer diesjährigen Zentralasienreise vor. Wir sind froh, dass wir die Tage des Wartens an einem so angenehmen Ort wie dem Sakura verbringen können, und freuen uns auf zuhause.

Obwohl wir in Kirgistan einge Enttäuschungen erlebt haben, bleiben doch die Erinnerungen an unzählige, schöne Begegnungen, an grossartige Landschaften, frisch gebackenes knuspriges Fladenbrot und eine Vielzahl an Gemüse und Früchten, wie wir sie im Pamir nicht einmal zu träumen gewagt hätten.

Begegnung in Özgün. Reto unterhält sich in bestem Russisch mit einem freundlich gesinnten Uzbeken. 

Blumen am Wegrand ganze Herden von Tieren, die auf den fruchtbaren Wiesen Kirgistans weiden. 

Unvergesslich: Ganze Herden von Yaks, wie sie die hoch gelegenen Gebiete Kirgistans besiedeln. 

Frisches Brot im Bazar von Osh

Der Bäcker von Bazar Kurgon mit den goldenen Zähnen

Das war einmal ein Fotogeschäft (… für Bruno)

Unsere LeidensgenossInnen der letzten Tage im Pamir. Luis haben wir in Bishkek wieder getroffen, Christine ist unterwegs in Usbekistan und Stephen bereits wieder zuhause bei seiner Schulklasse in Schottland. 

Gelber Mohn und weisse Malven, bei uns als Gartenblumen beliebt, sind uns auf unserer Reise oft begegnet.

 

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Zurück vom Höhenflug

Um der Gastgeberfamilie, auf deren Bauernhof wir ohne Bezahlung zelten durften, doch noch eine kleine Gegenleistung zu bringen, nehmen wir bei ihnen das Frühstück ein. Dabei zeigt uns der Hausherr ein kleines Fotoalbum mit Bildern früherer Gäste. Darunter sind zwei portugiesische Radfahrer, die wir von letztem Jahr her kennen, als wir ihnen in Khorog mit einer Kette aushelfen konnten. Aber auch unser Schicksalsgenosse Luis aus Kolumbien hat die beiden am Anfang seiner Reise in Südostasien getroffen. Das Beispiel der beiden jungen Leute hat ihn dann dazu bewogen, seine Reise mit dem Fahrrad anstelle von öffentlichen Verkehrsmitteln fortzusetzen.


…Gruppe der ausgewiesenen Velofahrer am Tag danach

Auf einer arg mitgenommenen Strasse geht es anschliessend weiter Richtung kirgisischem Zoll, der etwa 1000 Höhenmeter tiefer als der tadschikische liegt. Wie schon letztes Jahr ist der Grenzübertritt problemlos – es ist angenehm in ein Land zu kommen, wo das Reisen ohne Sondererlaubisse, zusätzlicher Registrierung und Strassenkontrollen möglich ist. Auch sind wir natürlich erleichtert, aus Tadschikistan raus zu sein – unsere „Deportation“ lässt ja eine eher besorgnisserregende Zeit für die Pamirregion erwarten.


…letzte Blumen des Pamir


…nostalgischer Blick zurück


…kirgisisches Empfangskommitee

Unser erster Halt in Kirgistan ist Sary Tash am nördlichen Rand des Pamirs. Das Wiedersehen ist nicht nur eitle Freude. Wieder haben wir den Eindruck, bei der kirgisischen Bevölkerung nicht besonders willkommen zu sein und wieder fallen uns die vielen betrunkenen Männer mittleren Alters auf, die überall anzutreffen sind. In dieser Hinsicht haben wir uns in Tadschikistan bedeutend wohler gefühlt.


…Hauptstrasse von Sary Tash

 …Hauptstrasse von Sary Tash mit Stossverkehr

Nach einem Ruhetag fahren wir dann weiter auf dem kirgisischen Abschnitt des Pamir Highway Richtung Osh. Gleich nach Sary Tash steigt die Strasse nochmals zum letzten hohen Pass auf über 3600 m an. Dank nicht ganz uneigennütziger chinesischer Strassenbaukunst ist die Strasse in ausgezeichnetem Zustand, und wir geniessen den glatten Asphaltbelag.

…chinesische Strasse in Kirgistan mit chinesischen Riesenlastwagen

In zwei Tagen gelangen wir nach Osh, der zweitgrössten Stadt in Kirgistan. Die Stadt liegt auf knapp 1000 m Höhe im oberen Teil des riesigen Ferganatals, das sich westwärts bis weit nach Usbekistan hinein erstreckt. In Osh, wie in vielen Städten und Ortschaften des kirgisischen Ferganatals, sind grosse Anteile der Bevölkerung Usbeken. Seit der Unabhängigkeit Kirgistans kam es bereits zwei Mal zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Usbeken und Kirgisen mit Hunderten von Toten, zuletzt im Jahr 2010. Heute sind keine Zeichen von Spannungen offen erkennbar, zumindest nicht für uns. Wie uns jedoch später ein Usbeke erzählt, brodelt der Konflikt unter der Oberfläche weiter und ist von einer Lösung weit entfernt. In den meisten jungen zentralasiatischen Nationalstaaten mit ihren vielfältigen Völkergemischen dürften ähnliche Gefahren lauern.

…Walnusswald bei Arslanbob

 …Walnusswald bei Arslanbob mit arbeitenden Frauen

Osh soll angeblich älter als Rom sein, aber Zeugen davon sind keine geblieben. Verschiedene Erdbeben und die Hunnen haben die Stadt mehrfach zerstört. Heute vermittelt Osh das Bild einer jungen und dennoch leicht heruntergekommenen Stadt. Ziemlich enttäuscht fahren wir weiter Richtung Nordenwesten.

Wegen der komplizierten Grenzziehung zwischen Kirgistan und Usbekistan müssen wir zuerst allerdings einen grossen Bogen nach Nordosten machen, um nach Jalal Abad zu kommen. Wir verlieren immer noch an Höhe und entsprechend steigen die Temperaturen weiter an. Wie schön kühl war es doch auf den Hochebenen des Pamirs! Erst kurz vor unserem nächsten Ziel, Arslanbob, geht es dann wieder ein wenig in die Höhe, aber 1500 m bedeuten in diesen Beitengraden und dieser Jahreszeit keine grosse Abkühlung. Arslanbob, am Fuss von 4000er Bergen gelegen, ist berühmt für seine ausgedehnten Walnusswälder, aus denen anscheinend die Urahnen der Walnüsse stammen, die gemäss Legende von Alexanders Truppen nach Griechenland gebracht wurden. Das Wandern in diesen Wäldern ist sehr angenehm, auch wenn sie anscheinend bis vor kurzem recht stark als Brennholzquelle geplündert wurden. Erst die Verpachtung des ursprünglichen Staatwaldes an die lokale Bevölkerung mit der Auflage zu nachhaltigen Pflege brachte anscheinend eine Besserung. Heute zieht die umliegende Bevölkerung jeden Herbst zur Walnussernte in die Wälder. Der Ertrag wird an eine türkische Firma verkauft, welche die Nüsse nach Europa liefert. Trotz der Wälder und der schönen Lage von Arslanbob will bei uns keine richtig Hochstimmung aufkommen. Wir fangen an, Parallelen mit dem Tessin zu ziehen, wo es im Herbst auch sehr schön ist und erst noch kühler und mit besserem Essen. Eine Bereicherung unseres Aufenthaltes in Arslanbob waren die Gespräche mit dem Besitzer unseres Guesthouse. Der Mann ist Deutsch- und Englischlehrer im Dorf und konnte uns viele interessante Informationen zum lokalen Leben und zu Kirgistan geben. So konnte er mir eine Erklärung liefern, warum es in Kirgistan so viele Pferde gibt und warum auf den Friedhöfen Pferdeschwänze an den Grabmälern hängen: Beim Tod eines traditionsbewussten Kirgisen wird ein Pferd geschlachtet. Die Seele dieses Pferdes ist dann das Reittier des Verstorbenen im Jenseits, das Fleisch des Tieres wird zur Speisung der Trauergemeinde gebraucht und sein Schwanz wird an das Grabmal gehängt.
Von Arslanbob geht es wieder in die Gluthitze des Ferganantals hinunter. Wie wir später erfahren, war die Ecke, die wir zu durchqueren hatten, zu dieser Zeit mit 40 Grad die heisseste Kirgistans. Erst nach Tash Kömür gehts langsam ein wenig höher. Die durch das hügelige Gelände bedingte Anstrengung macht jedoch die kaum spürbare Abkühlung mehr als wett. Rosa Maria leidet zudem an Bauchproblemen und Übelkeit, wahrscheinlich verursacht durch ihr Lieblingsessen, das uns zum Abschied in Arslanbob zubereitet wurde. So kämpfen wir uns langsam Richtung Sary Chelek. Der hochgerühmte Gebirgssee, inmitten eines von der Unesco anerkannten Naturschutzgebietes, ist uns ein Umweg von 200 km wert. Als wir dann schlussendlich im Nationalpark ankommen und uns noch 15 km und 800 sehr steile Höhenmeter bis zum See fehlen, kann Rosa Maria nicht mehr. Wir stellen das Zelt auf und sie bleibt mit dem Gepäck zurück. Ich fahre noch zum See hoch und hab wiederum ein ähnliches Gefühl wie in Arslanbob: In der Schweiz kenne ich etliche Gebirgsseen, die ich bedeutend schöner finde – und das ohne patriotische Nostalgie. Ich frag mich langsam, wo die Autoren unseres Lonely Planet Reiseführers herkommen. Zurück in unserem „Basislager“, kann ich Rosa Maria guten Gewissens über die verpasste Sehenswürdigkeit trösten. Was uns jedoch langsam abhanden kommt, sind weiterere mit dem Rad erreichbare Wunschziele in Kirgistan. Zumindest solche, für die wir in der aktuellen Hitzeperiode die notwendige Leidensbereitschaft aufbringen.


…Sary Chelek

…letzter Zeltplatz unserer Reise

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Abschied vom Pamir

Im Guesthouse von Suhrab und unter den Veloreisenden und Touristen in Murghab herrscht bedrückte Stimmung. Wir haben inzwischen erfahren, dass die Kommunikation mit der Aussenwelt wohl noch länger unterbrochen bleiben wird. Die Strassenverbindungen nach Korogh sind alle unterbrochen. Damit ist der Pamir – mit Ausnahme der Pässe nach Kirgistan und China – von der Aussenwelt abgeschnitten.

Die Mutter der drei erwachsenen Töchter, welche das Guesthouse führen, befindet sich zur Kur in Ishkashim und kann nicht erreicht werden. Ein junger Nachbar, der als einheimischer Führer eine Touristin aus Hongkong übers Wakhantal nach Korogh begleitet hat, ist noch nicht nachhause zurückgekehrt. Man spricht von etwa 40 Leuten aus Murghab, die in Korogh blockiert sind und nicht aus der Stadt heraus kommen. Robin und Adèle, zwei junge Franzosen, die zu Fuss und mit Autostopp im Pamir unterwegs sind und die wir in Langar getroffen haben, möchten so rasch als möglich an die kirgisische Grenze, weil sie hoffen, dort mit ihren Eltern telefonieren zu können. Einen grossen Rucksack haben sie in Korogh zurückgelassen, sie wollten ihn auf dem Rückweg nach Dushanbe wieder abholen. Von Ola und Michal, zwei polnischen Radreisenden, konnten wir keine Neuigkeiten mehr in Erfahrung bringen. Zuletzt haben wir sie am Kargushpass gesehen, wo sie uns schwer beladen überholten. Sie wollten über das abgelegene Roshtkala zurück nach Korogh.

Am Schlimmsten aber ist, dass niemand sagen kann, was wirklich in Korogh geschehen ist. Nach und nach erfahren wir, dass ein hoher Beamter der Zentralregierung am letzten Wochenende ermordet worden sei. Die einen sagen, es handle sich um eine Abrechnung im Drogenhandel. Überzeugender scheint, dass sich die Bevölkerung auflehnt, weil immer mehr Vertreter aus dem Norden, d.h. der Partei des Präsidenten, in lokalen Behörden eingesetzt werden. Nach Beendigung des Bürgerkrieges vor 20 Jahren wurde der Region GBAO, von welchem Korogh die Hauptstadt ist, die Beibehaltung der Teilautonomie und Posten in der Regierung versprochen. Dies werde immer weiter untergraben.

Anfangs Woche sei nun sehr viel Militär mit Hubschraubern und Panzern in die Region gebracht worden. Es sei zu Schiessereien zwischen der Armee und Demonstranten und Rebellen gekommen. Man spricht von Hunderten von Toten und vielen Verletzten, darunter auch Zivilpersonen. Von Touristen hören wir, dass die deutsche Botschaft alle EU-Bürger, d.h. Reisende und vor allem aber Mitarbeitende von Hilfswerken und NGOs, die in Korogh stationiert sind, evakuieren. (Die Mails mit den entsprechenden Aufforderungen und Empfehlungen der schweizerischen Vertretung erhalten auch wir, allerdings erst Wochen später, als wir in Osh/Kirigstan zum ersten Mal wieder Zugang zum Internet haben.)

Die Bevölkerung von Murghab und dem Ostpamir ist mehrheitlich kirgisisch. Sie sind Sunniten, im Gegensatz zu den um Korogh lebenden Ismaeliten, die eine sehr liberale Form des Islams leben. Die Leute von Murghab sind überzeugt, dass sich die Unruhen von Korogh nicht auf den restlichen Pamir ausweiten werden. Doch es beunruhigt, dass die Regierung auch nach zwei Wochen die Mobiltelefonie und das Internet noch immer für die ganze Region blockiert hat.

Unser Tadschikistanvisum ist noch bis Mitte August gültig, und eigentlich möchten wir Abstecher in verschiedene Seitentäler machen. Ob wir das noch machen sollen oder nicht? Da die Schlechtwetterperiode inzwischen strahlendem Sonnenschein Platz gemacht hat, unternehmen wir vorerst einen Ausflug zum Zorkulsee, einem Naturreservat in der Nähe des Kargushpasses. Die abenteuerliche Fahrt durch diese atemberaubend schöne Landschaft wäre allein schon einen ganzen Bericht wert. Leider gelingt es auf den Fotos nur annähernd, all die Farben, Stimmungen und Eindrücke wiederzugeben.

In Murghab treffen wir tags darauf zwei Italienerinnen, die mit einem Privattransport direkt nach Osh, der zweitgrössten Stadt Kirgistans, fahren. Da wir nicht wissen, wie beunruhigend die Nachrichten aus dem Pamir sind, welche allenfalls bis in die Schweiz gelangen, geben wir ihnen zwei Telefonnummern, damit sie unsere Familien benachrichtigen und schreiben, dass es uns gut geht und wir uns nicht bedroht fühlen. Mit dem Velo werden wir für die gleiche Strecke, die sie in einem Tag zurücklegen, etwa eine Woche brauchen.

Als wir am 29.7. in Murghab abreisen, glauben wir, dass wir in aller Ruhe über den Ak-Baital, den höchsten Pamirpass, fahren können und in einer paar Tagen in Karakol eintreffen werden. Dort möchten wir noch ein wenig bleiben und vielleicht in den Anfang des Bartangtales fahren, das sehr schön sein soll.

Doch es kommt alles anders als geplant.

Kaum sind wir am Morgen des 31.7. losgefahren, nachdem wir unser letztes Zeltlager vor Karakol abgebrochen haben, werden wir von zwei Fahrzeugen mit bewaffneten Militärs angehalten und aufgefordert, dass wir noch am gleichen Tag Tadschikistan verlassen müssen. Der Zollposten sei wahrscheinlich die ganze Nacht geöffnet, da alle Touristen aus dem Pamir sofort ausreisen müssen.

Neben Stephen, einem Lehrer aus Schottland, und Luis, einem jungen Kolumbianer, befindet sich in einem der Fahrzeuge auch Christine, eine Velofahrerin aus Berlin, die uns am Vortag entgegengefahren ist und mit der wir ein wenig geplaudert haben. Die drei wurden heute früh kurz vor Murghab von bewaffneten Soldaten geweckt und aus ihren Zelten geholt, und mit Velos und Gepäck in den Jeep verfrachtet, um an die kirgisische Grenze gebracht zu werden. Die Frau spricht gut Russisch und versucht, sich für uns einzusetzen und erklärt, dass ich nicht in der Lage bin, diese Strecke in dieser Zeit zurückzulegen.

Doch die Soldaten zeigen sich uneinsichtig. Sie nehmen uns sogar die Pässe weg und sagen, dass wir diese erst am Zoll bei unserer Ausreise wieder erhalten.

Obwohl der Jeep bereits das Gepäck und die Velos der anderen Reisenden enthält, machen wir uns daran, unser Gepäck ebenfalls hinter der Sitzbank zu verstauen und unsere beiden Velos aussen an der Kofferraumtüre zu befestigen. Zum Glück hat Reto ein starkes Seil eingepackt und genügend Riemen. Mit der tatkräftigen Hilfe eines der Soldaten gelingt es, Platz für alles zu finden.

Jetzt entspannt sich die Stimmung etwas, wir erhalten unaufgefordert unsere Pässe zurück, und die Fahrt beginnt.

In Karakol, dem nächsten Dorf und letzten vor der 80 km entfernten Grenze, gibt es eine längere Mittagspause. Den übernächtigten Soldaten ist die Müdigkeit anzusehen. Wir haben auch den Eindruck, dass sie selber nicht so genau wissen, was geschehen ist. Klar ist einzig dass sie den Auftrag haben, entgegenkommende Touristenfahrzeuge zur Umkehr aufzufordern und Veloreisende „einzusammeln“.

Dann erfahren wir, dass im Jeep nicht genügend Benzin sei, um bis zum Zoll zu fahren, und dass wir dafür bezahlen müssen. Wohl oder übel akzeptieren wir die Forderung und teilen uns den Betrag.

Während die Solaten eine Siesta machen, suche ich das Homestay von Sadat, in welchem wir auf unserer letztjährigen Reise ein paar Tage verbrachten. Ich finde sie und ihren Mann, und die beiden können sich wirklich an uns erinnern.

Als wir endlich wieder losfahren, befinden sich im Jeep 3 Soldaten, 5 Veloreisende, das gesamte Gepäck und 2 zerlegte Velos. An der hinteren Türe ist neben unseren beiden Velos noch ein drittes aufgebunden. Es ist schon späterer Nachmittag, als wir endlich am tadschikischen Zollposten ankommen.

Beim Zusammensetzen und Beladen der Velos stellen Christine und Stephen mit Schrecken fest, dass ihre Schlafsäcke fehlen. Sofort ist ein junger Soldat zu Stelle und fährt mit einem wendigen kleinen Lada dem Jeep nach, der bereits umgedreht hat. Nach etwa einer halben Stunde, als wir die Hoffnung bereits aufgegeben haben, kommt er zurück und bringt effektiv einen Schlafsack, der im Jeep liegengeblieben war. Doch der zweite bleibt verschollen. Christine wird sich in den nächsten kalten Nächten mit zusätzlichen Kleidern und Decken warmhalten müssen.

Bei drei Containern, die als eine Art Büro dienen, müssen wir anstehen und wir warten auf die notwendigen Formalitäten und Stempel. Endlich sind wir durch den Zoll hindurch und die Fahrt mit den Velos durchs Niemandsland bis zum kirgisischem Zoll beginnt. Im kalten Gegenwind mühen wir uns den letzten Pass hinauf, machen ein paar Abschiedsfotos, ziehen wärmere Kleider an und fahren ein paar Hundert Höhenmeter ins Tal hinunter, wo wir bei einem Bauernhof unsere vier Zelt aufstellen.

Unsere diesjährige Reise durch den Pamir hat ein unfreiwilliges Ende genommen, und wir denken mit Wehmut und Besorgnis an die Menschen, deren Heimat wir eben verlassen haben.

Kurz vor Murghab, beim Abzweiger zum Zorkulsee Bei unserem Guesthouse in Murghab Traumhafte Abendstimmung auf dem Rückweg von Zorkulsee (weitere Fotos von unserem Ausflug hat es in einer Bildergalerie)

Beim Abschied von Suhrabs Familie in Murghab

Letzte Tage unterwegs im Ostpamir

Ringsum Berge, ganz nah am Himmel

Unser Zeltplatz vor dem Aufstieg zum Akbaital-Pass

Am Horizont unser bisher höchster Pass, der Akbaital

Blick zurück in die Hochebene des Pamirs

… und vorwärts, hinauf zum Pass

Die letzten ca. 500 m sind so steil, dass ich – wie so oft am Berg – schieben muss, und wie so oft, hilft mir Reto dabei

Umziehen für die Abfahrt: Windjacke, Regenhose, Sturmhaube und Handschuhe

Reto genügt ein Gilet

Dieses Mädchen haben wir schon jetztes Jahr getroffen. Damals fotografierten wir es beim Frückstück mit frischer Butter

Letzter Zeltplatz in Tadschikistan

1 Jeep, 3 Soldaten, 5 Velos, und 5 Velonomaden mit all ihrem Gepäck

Mittagspause in Karakol: Luis, Stephen, Christine und ein völlig übernächtigter Soldat

Sadat und ihr Mann, unsere letztjährigen Gastgeber in Karakol

Die Kalaschnikov in der Innentüre…

3 Velos auf der rückseitigen Türe aufgebunden

Am anderen Morgen: Gruppenbild mit dem kirgisischen Bauer, bei dem wir die Zelte aufschlugen (Stephen der Schotte, Christine die Berlinerin und Luis Carlos aus Kolumbien)

So schön ist Kirgistans Grenzregion zum Pamir (wahrscheinlich Pik Lenin)

 

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Bilder vom Ausflug zum Zorkul, weit ab vom “Highway” M41

Bilder aus dem Ostpamir, einer eindrücklichen, einsamen Landschaft, ungefähr zwischen Murghab und Karghush.

(zum Ansehen der Fotos auf die kleinen Bilder klicken)

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Über den Kargush-Pass nach Murghab

Die letzte Etappe im Wakhan führt uns nach Langar. Nachdem mein Befinden am Vortag durch Übelkeit und Kraftlosigkeit geprägt war, ist jetzt Rosa Maria mit ähnlichen Symptomen an der Reihe. So kämpfen wir uns mit vielen Pausen mühsam über die letzten 40 Kilometer bis nach Langar. Auch die buddhistische Stupa am Wegrand, welche den beschützenden Blick des Buddha für seine Wesen symbolisiert, verleiht uns kaum Mut. Höchstens wieder einmal einen Hinweis darauf, wie solche Gegenden, die uns heute als Inbegriff der Abgelegenheit und Rückständigkeit erscheinen, seit Jahrtausenden Kulturlandschaften sind, die von den unterschiedlichsten Völkern, Zivilisationen und Religionen geprägt wurden.


…die Augen des Buddha wachen über das Wakhantal


durch Seitentäler des Wakhan  zeigt sich der Hindukush

Schwemmland aus dem Hindukush


muslimischer Schrein im Wakhantal

Langar ist das letzte Dorf im tadschikischen Wakhan. Hier vereinen sich die beiden Oberläufe des Flusses Panj, dem Pamir- und dem Wakhan-Fluss. Entlang letzterem setzt sich der nun ganzheitlich auf afghanischem Gebiet liegende Wakhankorridor fort, der sich bis zum Karakorum hochzieht. Der von Norden her zuströmende Fluss Pamir führt hinauf zu der Hochebene des Pamir. Es erfüllt uns mit ein wenig Wehmut, vom Panj, dem geschichtsträchtigen Fluss Oxus der alten Griechen Abschied zu nehen. Er war über mehrere Hundert Kilometer unser ständiger Wegbegleiter, seit Qala-i Khumb.


in Langar vereinen sich der Pamir- und der Wakhanfluss zum Panj

In Langar machen wir einen Tag Pause und versuchen, uns mit Schonkost und Minimalprogramm auf die Fahrt über den Kargush-Pass vorzubereiten. Von vielen abgebrühtenen Veloreisenden wird er als etwas vom anstrengendsten oder gar als das Anstrengendste taxiert, das sie kennen. Der steilste Teil kommt gleich nach Langar. Wir beschliessen, auf diesem ca. 10 Kilometer langen Stück eine Testfahrt zu unternehmen, allerdings ohne Gepäck. Wie uns bereits aus Erzählungen bekannt ist, werden wir von einer Schar Kinder erwartet, die sich als „Schieber“ für leidende Radler anbietet oder eher schon fast aufdrängt. Während Rosa Maria ihre Dienste gerne annimmt, versuche ich mit dem letzten verbleibenden Atem, die Kinder zu verscheuchen und aus eigenen Kräften hochzukommen. Wenn schon ohne Gepäck, dann wenigstens ohne Hilfe, ist mein eher lächerlicher und antiquierter Ehrenkodex. Nachdem wir dann beide den schlimmsten Teil hinter uns haben, fahre ich noch etwas weiter, um allfällige böse Überraschungen auszuschliessen. Zurück in unserem Gasthaus beschliessen wir dann, uns diese Plackerei zu ersparen und uns am nächsten Tag mit Sack und Pack dieses Teilstück hinaufkutschieren zu lassen, anstatt die Hilfe der Dorfjugend in Anspruch zu nehmen. Wahrlich kein Beispiel für umweltbewusstes Reisen. Unser schlechtes Gewissen können wir dann durch die Mitnahme von zwei jungen französischen Reisenden mildern, welche zu Fuss in Tadschikistan unterwegs sind.


Petroglyphe bei Langar mit erkennbarem Inhalt


…Petroglyphe mit kryptischem Inhalt

Die verbleibenden knapp Hundert Kilometer über den 4350 Meter hohen Kargush-Pass bis zur Einmündung in den asphaltierten Pamir-Highway werden dann dennoch zu einer unserer leidvolleren Erfahrungen. Vor allem der teilweise sandige Untergrund und die immer wieder auftretenden sehr steilen Rampen sind äusserst kräfteraubend. Am zweiten Tag unserer Fahrt kommen dann noch Regenschauer gemischt mit Graupel hinzu. Das schlechte Wetter verhindert auch den Blick zurück auf die 7000er Berge des Hindu Kush und des afghanischen Koh-i Pamir – nur ab und zu scheinen zwischen Wolkenlücken schemenhaft einzelne Gipfel durch. Sehr schade, war doch für mich diese Aussicht auf die sagenumwobenen Berge einer der Hauptgründe für den Besuch des Wakhan und der Fahrt über den Kargush.


Testfahrt ohne Gepäck auf dem berüchtigten Anfangsstück des Kargush-Passes


…und das Fazit daraus


vereinzelte Gipfel des Hindukush in der Ferne


verhüllte Hindukush-Kette


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..schlechtes Wetter am Kargush im Anzug

…Leute mit noch mehr Gepäck als wir!

…letzter Blick zurück auf den Hindukush

…letzte Kilometer vor dem Kargush-Pass 

 


…über dem Berg

…schlechtes Wetter auch auf der anderen Seite des Passes

Die Wiederbegegnung mit der M41, des Pamir-Highways, ist eine Riesenfreude und grosse Erleichterung für uns. Endlich ist es wieder möglich, den Blick auf die wunderbare Landschaft abgleiten zu lassen und nicht ständig auf den unberechenbaren Strassenbelag zu konzentrieren. Unsere von Schlägen bombardierten Hintern können sich erholen und die Kraft unserer Pedaltritte wird in Fahrt umgesetzt und verpufft nicht einfach im Widerstand des losen Untergrunds. Gehts berauf, kann man sich im Anschluss auf eine rassige Abfahrt freuen, Unser Weg führt uns durch die grosse Ebene von Alichur, in der Ferne sehen wir die ersten Yaks, die wir letztes Jahr so ins Herz geschlossen haben. Auf der Fahrt nach Murghab zelten wir an den gleichen romantischen Plätzen wie 2011, kehren im gleichen Fischrestaurant ein, wo wir unsere lieben italienischen Freunde Cosetta und Giuliano kennenlernten. Die uns aus der Ferne begleitenden Regenschauer verschonen uns meistens, lassen jedoch die Landschaft zum Teil noch dramatischer scheinen als bei strahlendem Sonnenschein wie letztes Mal. Vor allem die rot-braune Mondlandschaft um den Neizetash-Pass ist für uns beide der bisherige Höhepunkt unserer Reise. Das Fahren in absoluter Stille und inmitten dieser stark erodierten Felsformationen erwecken intensive Gefühle ewig dauernden Friedens und vollkommener Harmonie mit der uns umgebenden Natur.

….Zelten im Pamir-Hochland


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..Fischrestaurant, wo wir im Vorjahr unsere italienischen Freunde kennenlernten

…Traumlandschaften im Pamir

…die jungen Yaks müssen ins Bett

…Abendstimmung in Murghab

Noch etwas ist anders als vor einem Jahr: Es hat zu unser grossen Freude fast keinen Verkehr auf der Strasse. Bruchstückweise erfahren wir dann nach und nach den leider traurigen Grund: In Khorog sind Unruhen ausgebrochen, bei denen in Zusammenstössen zwischen Militär und Demonstranten viele Personen ums Leben gekommen sind. In der Folge wurde Khorog von der Umwelt abgeriegelt, was praktisch die Lähmung des Verkehrs auf dem Pamir-Highway zur Folge hat. Die Telefonie und der Internetzugang sind zur Zeit unterbrochen, so dass wir hier in Murghab von der Kommunikation mit der Aussenwelt abgeschnitten sind. Unser geplante Weiterreise nach Kirgistan ist zum Glück von den Ereignissen nicht betroffen. Allerdings möchten wir hier auf besseres Wetter warten, da der höchste Pass unserer Reise vor uns liegt, der 4655 Meter hohe Ak-Baital (auf Deutsch „Weisses Pferd“). Wir wären froh, wenn das „weiss“ in seinem Namen in unserem Fall nicht auf den derzeit dort liegenden Schnee hindeuten würde.

 

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