Abschied vom Pamir

Im Guesthouse von Suhrab und unter den Veloreisenden und Touristen in Murghab herrscht bedrückte Stimmung. Wir haben inzwischen erfahren, dass die Kommunikation mit der Aussenwelt wohl noch länger unterbrochen bleiben wird. Die Strassenverbindungen nach Korogh sind alle unterbrochen. Damit ist der Pamir – mit Ausnahme der Pässe nach Kirgistan und China – von der Aussenwelt abgeschnitten.

Die Mutter der drei erwachsenen Töchter, welche das Guesthouse führen, befindet sich zur Kur in Ishkashim und kann nicht erreicht werden. Ein junger Nachbar, der als einheimischer Führer eine Touristin aus Hongkong übers Wakhantal nach Korogh begleitet hat, ist noch nicht nachhause zurückgekehrt. Man spricht von etwa 40 Leuten aus Murghab, die in Korogh blockiert sind und nicht aus der Stadt heraus kommen. Robin und Adèle, zwei junge Franzosen, die zu Fuss und mit Autostopp im Pamir unterwegs sind und die wir in Langar getroffen haben, möchten so rasch als möglich an die kirgisische Grenze, weil sie hoffen, dort mit ihren Eltern telefonieren zu können. Einen grossen Rucksack haben sie in Korogh zurückgelassen, sie wollten ihn auf dem Rückweg nach Dushanbe wieder abholen. Von Ola und Michal, zwei polnischen Radreisenden, konnten wir keine Neuigkeiten mehr in Erfahrung bringen. Zuletzt haben wir sie am Kargushpass gesehen, wo sie uns schwer beladen überholten. Sie wollten über das abgelegene Roshtkala zurück nach Korogh.

Am Schlimmsten aber ist, dass niemand sagen kann, was wirklich in Korogh geschehen ist. Nach und nach erfahren wir, dass ein hoher Beamter der Zentralregierung am letzten Wochenende ermordet worden sei. Die einen sagen, es handle sich um eine Abrechnung im Drogenhandel. Überzeugender scheint, dass sich die Bevölkerung auflehnt, weil immer mehr Vertreter aus dem Norden, d.h. der Partei des Präsidenten, in lokalen Behörden eingesetzt werden. Nach Beendigung des Bürgerkrieges vor 20 Jahren wurde der Region GBAO, von welchem Korogh die Hauptstadt ist, die Beibehaltung der Teilautonomie und Posten in der Regierung versprochen. Dies werde immer weiter untergraben.

Anfangs Woche sei nun sehr viel Militär mit Hubschraubern und Panzern in die Region gebracht worden. Es sei zu Schiessereien zwischen der Armee und Demonstranten und Rebellen gekommen. Man spricht von Hunderten von Toten und vielen Verletzten, darunter auch Zivilpersonen. Von Touristen hören wir, dass die deutsche Botschaft alle EU-Bürger, d.h. Reisende und vor allem aber Mitarbeitende von Hilfswerken und NGOs, die in Korogh stationiert sind, evakuieren. (Die Mails mit den entsprechenden Aufforderungen und Empfehlungen der schweizerischen Vertretung erhalten auch wir, allerdings erst Wochen später, als wir in Osh/Kirigstan zum ersten Mal wieder Zugang zum Internet haben.)

Die Bevölkerung von Murghab und dem Ostpamir ist mehrheitlich kirgisisch. Sie sind Sunniten, im Gegensatz zu den um Korogh lebenden Ismaeliten, die eine sehr liberale Form des Islams leben. Die Leute von Murghab sind überzeugt, dass sich die Unruhen von Korogh nicht auf den restlichen Pamir ausweiten werden. Doch es beunruhigt, dass die Regierung auch nach zwei Wochen die Mobiltelefonie und das Internet noch immer für die ganze Region blockiert hat.

Unser Tadschikistanvisum ist noch bis Mitte August gültig, und eigentlich möchten wir Abstecher in verschiedene Seitentäler machen. Ob wir das noch machen sollen oder nicht? Da die Schlechtwetterperiode inzwischen strahlendem Sonnenschein Platz gemacht hat, unternehmen wir vorerst einen Ausflug zum Zorkulsee, einem Naturreservat in der Nähe des Kargushpasses. Die abenteuerliche Fahrt durch diese atemberaubend schöne Landschaft wäre allein schon einen ganzen Bericht wert. Leider gelingt es auf den Fotos nur annähernd, all die Farben, Stimmungen und Eindrücke wiederzugeben.

In Murghab treffen wir tags darauf zwei Italienerinnen, die mit einem Privattransport direkt nach Osh, der zweitgrössten Stadt Kirgistans, fahren. Da wir nicht wissen, wie beunruhigend die Nachrichten aus dem Pamir sind, welche allenfalls bis in die Schweiz gelangen, geben wir ihnen zwei Telefonnummern, damit sie unsere Familien benachrichtigen und schreiben, dass es uns gut geht und wir uns nicht bedroht fühlen. Mit dem Velo werden wir für die gleiche Strecke, die sie in einem Tag zurücklegen, etwa eine Woche brauchen.

Als wir am 29.7. in Murghab abreisen, glauben wir, dass wir in aller Ruhe über den Ak-Baital, den höchsten Pamirpass, fahren können und in einer paar Tagen in Karakol eintreffen werden. Dort möchten wir noch ein wenig bleiben und vielleicht in den Anfang des Bartangtales fahren, das sehr schön sein soll.

Doch es kommt alles anders als geplant.

Kaum sind wir am Morgen des 31.7. losgefahren, nachdem wir unser letztes Zeltlager vor Karakol abgebrochen haben, werden wir von zwei Fahrzeugen mit bewaffneten Militärs angehalten und aufgefordert, dass wir noch am gleichen Tag Tadschikistan verlassen müssen. Der Zollposten sei wahrscheinlich die ganze Nacht geöffnet, da alle Touristen aus dem Pamir sofort ausreisen müssen.

Neben Stephen, einem Lehrer aus Schottland, und Luis, einem jungen Kolumbianer, befindet sich in einem der Fahrzeuge auch Christine, eine Velofahrerin aus Berlin, die uns am Vortag entgegengefahren ist und mit der wir ein wenig geplaudert haben. Die drei wurden heute früh kurz vor Murghab von bewaffneten Soldaten geweckt und aus ihren Zelten geholt, und mit Velos und Gepäck in den Jeep verfrachtet, um an die kirgisische Grenze gebracht zu werden. Die Frau spricht gut Russisch und versucht, sich für uns einzusetzen und erklärt, dass ich nicht in der Lage bin, diese Strecke in dieser Zeit zurückzulegen.

Doch die Soldaten zeigen sich uneinsichtig. Sie nehmen uns sogar die Pässe weg und sagen, dass wir diese erst am Zoll bei unserer Ausreise wieder erhalten.

Obwohl der Jeep bereits das Gepäck und die Velos der anderen Reisenden enthält, machen wir uns daran, unser Gepäck ebenfalls hinter der Sitzbank zu verstauen und unsere beiden Velos aussen an der Kofferraumtüre zu befestigen. Zum Glück hat Reto ein starkes Seil eingepackt und genügend Riemen. Mit der tatkräftigen Hilfe eines der Soldaten gelingt es, Platz für alles zu finden.

Jetzt entspannt sich die Stimmung etwas, wir erhalten unaufgefordert unsere Pässe zurück, und die Fahrt beginnt.

In Karakol, dem nächsten Dorf und letzten vor der 80 km entfernten Grenze, gibt es eine längere Mittagspause. Den übernächtigten Soldaten ist die Müdigkeit anzusehen. Wir haben auch den Eindruck, dass sie selber nicht so genau wissen, was geschehen ist. Klar ist einzig dass sie den Auftrag haben, entgegenkommende Touristenfahrzeuge zur Umkehr aufzufordern und Veloreisende „einzusammeln“.

Dann erfahren wir, dass im Jeep nicht genügend Benzin sei, um bis zum Zoll zu fahren, und dass wir dafür bezahlen müssen. Wohl oder übel akzeptieren wir die Forderung und teilen uns den Betrag.

Während die Solaten eine Siesta machen, suche ich das Homestay von Sadat, in welchem wir auf unserer letztjährigen Reise ein paar Tage verbrachten. Ich finde sie und ihren Mann, und die beiden können sich wirklich an uns erinnern.

Als wir endlich wieder losfahren, befinden sich im Jeep 3 Soldaten, 5 Veloreisende, das gesamte Gepäck und 2 zerlegte Velos. An der hinteren Türe ist neben unseren beiden Velos noch ein drittes aufgebunden. Es ist schon späterer Nachmittag, als wir endlich am tadschikischen Zollposten ankommen.

Beim Zusammensetzen und Beladen der Velos stellen Christine und Stephen mit Schrecken fest, dass ihre Schlafsäcke fehlen. Sofort ist ein junger Soldat zu Stelle und fährt mit einem wendigen kleinen Lada dem Jeep nach, der bereits umgedreht hat. Nach etwa einer halben Stunde, als wir die Hoffnung bereits aufgegeben haben, kommt er zurück und bringt effektiv einen Schlafsack, der im Jeep liegengeblieben war. Doch der zweite bleibt verschollen. Christine wird sich in den nächsten kalten Nächten mit zusätzlichen Kleidern und Decken warmhalten müssen.

Bei drei Containern, die als eine Art Büro dienen, müssen wir anstehen und wir warten auf die notwendigen Formalitäten und Stempel. Endlich sind wir durch den Zoll hindurch und die Fahrt mit den Velos durchs Niemandsland bis zum kirgisischem Zoll beginnt. Im kalten Gegenwind mühen wir uns den letzten Pass hinauf, machen ein paar Abschiedsfotos, ziehen wärmere Kleider an und fahren ein paar Hundert Höhenmeter ins Tal hinunter, wo wir bei einem Bauernhof unsere vier Zelt aufstellen.

Unsere diesjährige Reise durch den Pamir hat ein unfreiwilliges Ende genommen, und wir denken mit Wehmut und Besorgnis an die Menschen, deren Heimat wir eben verlassen haben.

Kurz vor Murghab, beim Abzweiger zum Zorkulsee Bei unserem Guesthouse in Murghab Traumhafte Abendstimmung auf dem Rückweg von Zorkulsee (weitere Fotos von unserem Ausflug hat es in einer Bildergalerie)

Beim Abschied von Suhrabs Familie in Murghab

Letzte Tage unterwegs im Ostpamir

Ringsum Berge, ganz nah am Himmel

Unser Zeltplatz vor dem Aufstieg zum Akbaital-Pass

Am Horizont unser bisher höchster Pass, der Akbaital

Blick zurück in die Hochebene des Pamirs

… und vorwärts, hinauf zum Pass

Die letzten ca. 500 m sind so steil, dass ich – wie so oft am Berg – schieben muss, und wie so oft, hilft mir Reto dabei

Umziehen für die Abfahrt: Windjacke, Regenhose, Sturmhaube und Handschuhe

Reto genügt ein Gilet

Dieses Mädchen haben wir schon jetztes Jahr getroffen. Damals fotografierten wir es beim Frückstück mit frischer Butter

Letzter Zeltplatz in Tadschikistan

1 Jeep, 3 Soldaten, 5 Velos, und 5 Velonomaden mit all ihrem Gepäck

Mittagspause in Karakol: Luis, Stephen, Christine und ein völlig übernächtigter Soldat

Sadat und ihr Mann, unsere letztjährigen Gastgeber in Karakol

Die Kalaschnikov in der Innentüre…

3 Velos auf der rückseitigen Türe aufgebunden

Am anderen Morgen: Gruppenbild mit dem kirgisischen Bauer, bei dem wir die Zelte aufschlugen (Stephen der Schotte, Christine die Berlinerin und Luis Carlos aus Kolumbien)

So schön ist Kirgistans Grenzregion zum Pamir (wahrscheinlich Pik Lenin)

 

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