Über den Kargush-Pass nach Murghab

Die letzte Etappe im Wakhan führt uns nach Langar. Nachdem mein Befinden am Vortag durch Übelkeit und Kraftlosigkeit geprägt war, ist jetzt Rosa Maria mit ähnlichen Symptomen an der Reihe. So kämpfen wir uns mit vielen Pausen mühsam über die letzten 40 Kilometer bis nach Langar. Auch die buddhistische Stupa am Wegrand, welche den beschützenden Blick des Buddha für seine Wesen symbolisiert, verleiht uns kaum Mut. Höchstens wieder einmal einen Hinweis darauf, wie solche Gegenden, die uns heute als Inbegriff der Abgelegenheit und Rückständigkeit erscheinen, seit Jahrtausenden Kulturlandschaften sind, die von den unterschiedlichsten Völkern, Zivilisationen und Religionen geprägt wurden.


…die Augen des Buddha wachen über das Wakhantal


durch Seitentäler des Wakhan  zeigt sich der Hindukush

Schwemmland aus dem Hindukush


muslimischer Schrein im Wakhantal

Langar ist das letzte Dorf im tadschikischen Wakhan. Hier vereinen sich die beiden Oberläufe des Flusses Panj, dem Pamir- und dem Wakhan-Fluss. Entlang letzterem setzt sich der nun ganzheitlich auf afghanischem Gebiet liegende Wakhankorridor fort, der sich bis zum Karakorum hochzieht. Der von Norden her zuströmende Fluss Pamir führt hinauf zu der Hochebene des Pamir. Es erfüllt uns mit ein wenig Wehmut, vom Panj, dem geschichtsträchtigen Fluss Oxus der alten Griechen Abschied zu nehen. Er war über mehrere Hundert Kilometer unser ständiger Wegbegleiter, seit Qala-i Khumb.


in Langar vereinen sich der Pamir- und der Wakhanfluss zum Panj

In Langar machen wir einen Tag Pause und versuchen, uns mit Schonkost und Minimalprogramm auf die Fahrt über den Kargush-Pass vorzubereiten. Von vielen abgebrühtenen Veloreisenden wird er als etwas vom anstrengendsten oder gar als das Anstrengendste taxiert, das sie kennen. Der steilste Teil kommt gleich nach Langar. Wir beschliessen, auf diesem ca. 10 Kilometer langen Stück eine Testfahrt zu unternehmen, allerdings ohne Gepäck. Wie uns bereits aus Erzählungen bekannt ist, werden wir von einer Schar Kinder erwartet, die sich als „Schieber“ für leidende Radler anbietet oder eher schon fast aufdrängt. Während Rosa Maria ihre Dienste gerne annimmt, versuche ich mit dem letzten verbleibenden Atem, die Kinder zu verscheuchen und aus eigenen Kräften hochzukommen. Wenn schon ohne Gepäck, dann wenigstens ohne Hilfe, ist mein eher lächerlicher und antiquierter Ehrenkodex. Nachdem wir dann beide den schlimmsten Teil hinter uns haben, fahre ich noch etwas weiter, um allfällige böse Überraschungen auszuschliessen. Zurück in unserem Gasthaus beschliessen wir dann, uns diese Plackerei zu ersparen und uns am nächsten Tag mit Sack und Pack dieses Teilstück hinaufkutschieren zu lassen, anstatt die Hilfe der Dorfjugend in Anspruch zu nehmen. Wahrlich kein Beispiel für umweltbewusstes Reisen. Unser schlechtes Gewissen können wir dann durch die Mitnahme von zwei jungen französischen Reisenden mildern, welche zu Fuss in Tadschikistan unterwegs sind.


Petroglyphe bei Langar mit erkennbarem Inhalt


…Petroglyphe mit kryptischem Inhalt

Die verbleibenden knapp Hundert Kilometer über den 4350 Meter hohen Kargush-Pass bis zur Einmündung in den asphaltierten Pamir-Highway werden dann dennoch zu einer unserer leidvolleren Erfahrungen. Vor allem der teilweise sandige Untergrund und die immer wieder auftretenden sehr steilen Rampen sind äusserst kräfteraubend. Am zweiten Tag unserer Fahrt kommen dann noch Regenschauer gemischt mit Graupel hinzu. Das schlechte Wetter verhindert auch den Blick zurück auf die 7000er Berge des Hindu Kush und des afghanischen Koh-i Pamir – nur ab und zu scheinen zwischen Wolkenlücken schemenhaft einzelne Gipfel durch. Sehr schade, war doch für mich diese Aussicht auf die sagenumwobenen Berge einer der Hauptgründe für den Besuch des Wakhan und der Fahrt über den Kargush.


Testfahrt ohne Gepäck auf dem berüchtigten Anfangsstück des Kargush-Passes


…und das Fazit daraus


vereinzelte Gipfel des Hindukush in der Ferne


verhüllte Hindukush-Kette


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..schlechtes Wetter am Kargush im Anzug

…Leute mit noch mehr Gepäck als wir!

…letzter Blick zurück auf den Hindukush

…letzte Kilometer vor dem Kargush-Pass 

 


…über dem Berg

…schlechtes Wetter auch auf der anderen Seite des Passes

Die Wiederbegegnung mit der M41, des Pamir-Highways, ist eine Riesenfreude und grosse Erleichterung für uns. Endlich ist es wieder möglich, den Blick auf die wunderbare Landschaft abgleiten zu lassen und nicht ständig auf den unberechenbaren Strassenbelag zu konzentrieren. Unsere von Schlägen bombardierten Hintern können sich erholen und die Kraft unserer Pedaltritte wird in Fahrt umgesetzt und verpufft nicht einfach im Widerstand des losen Untergrunds. Gehts berauf, kann man sich im Anschluss auf eine rassige Abfahrt freuen, Unser Weg führt uns durch die grosse Ebene von Alichur, in der Ferne sehen wir die ersten Yaks, die wir letztes Jahr so ins Herz geschlossen haben. Auf der Fahrt nach Murghab zelten wir an den gleichen romantischen Plätzen wie 2011, kehren im gleichen Fischrestaurant ein, wo wir unsere lieben italienischen Freunde Cosetta und Giuliano kennenlernten. Die uns aus der Ferne begleitenden Regenschauer verschonen uns meistens, lassen jedoch die Landschaft zum Teil noch dramatischer scheinen als bei strahlendem Sonnenschein wie letztes Mal. Vor allem die rot-braune Mondlandschaft um den Neizetash-Pass ist für uns beide der bisherige Höhepunkt unserer Reise. Das Fahren in absoluter Stille und inmitten dieser stark erodierten Felsformationen erwecken intensive Gefühle ewig dauernden Friedens und vollkommener Harmonie mit der uns umgebenden Natur.

….Zelten im Pamir-Hochland


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..Fischrestaurant, wo wir im Vorjahr unsere italienischen Freunde kennenlernten

…Traumlandschaften im Pamir

…die jungen Yaks müssen ins Bett

…Abendstimmung in Murghab

Noch etwas ist anders als vor einem Jahr: Es hat zu unser grossen Freude fast keinen Verkehr auf der Strasse. Bruchstückweise erfahren wir dann nach und nach den leider traurigen Grund: In Khorog sind Unruhen ausgebrochen, bei denen in Zusammenstössen zwischen Militär und Demonstranten viele Personen ums Leben gekommen sind. In der Folge wurde Khorog von der Umwelt abgeriegelt, was praktisch die Lähmung des Verkehrs auf dem Pamir-Highway zur Folge hat. Die Telefonie und der Internetzugang sind zur Zeit unterbrochen, so dass wir hier in Murghab von der Kommunikation mit der Aussenwelt abgeschnitten sind. Unser geplante Weiterreise nach Kirgistan ist zum Glück von den Ereignissen nicht betroffen. Allerdings möchten wir hier auf besseres Wetter warten, da der höchste Pass unserer Reise vor uns liegt, der 4655 Meter hohe Ak-Baital (auf Deutsch „Weisses Pferd“). Wir wären froh, wenn das „weiss“ in seinem Namen in unserem Fall nicht auf den derzeit dort liegenden Schnee hindeuten würde.

 

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