Unterwegs im Wakhankorridor

Obwohl ich mich auf die Weiterfahrt durchs Wakhantal freue, fällt mir der Abschied von Lalmo schwer. Sie war uns in den letzten Tagen eine so herzliche und aufmerksame Gastgeberin und liess uns in vielen Kleinigkeiten spüren, wie sehr sie sich über unsere Rückkehr nach einem Jahr freute. Auch ihre Tochter und die Schwester aus Moskau (die mir letztes Jahr ein Kleid nähte) behandelten uns wie Freunde der Familie.

Es ist Sonntagmorgen und wir sind früh unterwegs. Es ist noch ziemlich kühl. Da das Tal bis Ishkashim nach Süden ausgerichtet ist, fahren wir lange im Schatten. Die Strasse ist asphaltiert, in den nächsten Tagen aber mit immer grösseren Abschnitten, wo der Belag fehlt oder durch groben Schotter ersetzt ist. Teehäuser gibt es hier leider keine mehr.

In den Dörfern findet man höchstens einen Laden, wo wir Mineralwasser kaufen, manchmal einen Fruchtsaft. Pausen machen wir am Strassenrand, suchen bequeme Steine, um uns zu setzen, meist unter einem Baum. Wir gewinnen nur langsam an Höhe, und doch ist die Fahrt recht anstrengend. Die Dörfer liegen jeweils am Hang über dem Panj, dem Grenzflus zu Afghanistan.

Abendstimmung über Afghanistan

Die steilen Anstiege sind nicht als Schikane für die Velofahrer angelegt, sondern haben meiner Ansicht nach die Funktion, dass rechts und links davon das Wasser aus der Siedlung zügig abfliessen kann. Meist gibt es oberhalb der Dörfer eine Quelle, oder die Wohngebiete liegen an einem Bergbach, von wo sie das Frischwasser beziehen. Für die Bewässerung der Gärten und Felder wird das Abwasser verwendet, oft auch zum Waschen. Die Latrinen befinden sich meist am entferntesten Ende des Gartens oder am Rand des Dorfes. Fliessendes Wasser im Haus haben nur die wenigsten, und wenn, dann ziemlich improvisiert.

Die erste Nacht verbringen wir in einem sehr einfachen Hotel, das neben einem Sanatorium mit Mineralquellen steht. Da gibts sogar einen Fernseher im Zimmer. Ob er funktioniert hätte, haben wir nicht ausprobiert, doch die Dusche mit einem Rinnsal an heissem Wasser nutzen wir gerne.

Für die zweite Nacht lassen wir uns von einem Mädchen am Strassenrand überreden, in ihr Haus zu kommen. Ihre Mutter führt eine bescheidenen Mexmonkhona. Übersetzt heisst das “Haus für Gäste”. Als ich frage, ob ich mich waschen könne, begleitet mich die Wirtin durch den Hof in ein Badehäuschen aus Stein, das in den Felsen gehauen ist. Ein Ofen steht darin, auf dem man Wasser wärmen könnte. Ich ziehe mich aus, versuche auf dem schrägen Boden das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hänge meine Kleider an einem Nagel auf und fange an, mich mit meinem Waschlappen zu waschen. Die Frau gibt mir immer wieder lauwarmes Wasser aus dem mitgebrachten Kessel, spült mich zum Schluss mithilfe einer Konservendose von Kopf bis Fuss ab und hilft mir dann beim Trocknen und Anziehen. Nach einem langen Tag auf staubigen Strassen ist eine Waschgelegenheit eine Wohltat, die man sich zuhause kaum vorstellen kann.

Links unsere Wirtin, rechts eine Nachbarin

Einer der vielen “Wallfahrtsorte” im Wakhantal. Reto spricht mit einem einheimischen Führer, der vor ein paar Jahren in die Schweiz eingeladen wurde.

Der dritte Tag erwartet uns mit einer unangenehmen Überraschung: An Retos Vorderrad ist über Nacht die Luft entwichen. Das heisst, Rad entfernen, Pneu auf Fremdkörper und Schadstellen untersuchen, Schlauch entfernen und wieder pumpen, Loch suchen, Gummi vorbereiten, Flick auftragen, warten, Schlauch und Pneu auf Felge montieren und Rad an Gabel befestigen, fertig pumpen, Druck messen. Ich bin so froh, dass Reto sich um die Velos kümmert. Alleine wäre ich verloren. Ich übernehme gerne ein paar kleine Mehrarbeiten mit der Wäsche und dem Essen.

Wir sind an diesem Tag beide nicht so recht in Form, ausnahmsweise fühlt sich diesmal Reto richtig schlapp. Wir kommen auf der schlechten Strasse nicht so recht vorwärts, immer wieder erwarten uns steile Anstiege auf sandigem oder lockerem Belag.

Unterwegs, kurz vor Ptup

Das Dorf Ptup, in welchem wir um die Mittagszeit eine Mexmonkhona ansteuern wollen, verpassen wir, und das nächste Dorf mit Schlafgelegenheiten ist hoch oben am Berg gelegen. Zum Glück verpassen wir diesen Abzweiger ebenfalls. Zurück wollen wir trotz Müdigkeit nicht, nur vorwärts. So erreichen wir nach nur gerade 38 km in fast 4 Stunden das Dorf Yamg. Ein Homstay ist an der Strasse signalisiert. Mit grosser Erwartung suchen wir es auf, und wir werden nicht enttäuscht. Hinter einem blauen Tor verbirgt sich ein schöner Gemüsegarten mit einem grossen alten Pamirhaus und angebauten Gästezimmern. Es hat eine Dusche (zwar nur mit kaltem Wasser) und eine richtige Toilette. Die Leute sind freundlich, einer der Söhne spricht recht gut englisch. Der Vater ist Leiter des Dorfmuseums, welches dem Sufi-Philosophen, Dichter, Musiker und Astronomen Mubarak Kadam Wakhani gewidmet ist. Wir sind erstmal froh, uns umziehen und waschen zu können und uns in einem kühlen Zimmer, das uns ganz alleine gehört, auszuruhen.

Da drüben ist schon Afghanistan

Doch dann passiert mir etwas völlig Unerwartetes: Als ich die im Vorraum deponierte Lenkertasche aufheben will, sticht mich eine Hornisse. Der Finger schwillt rasch an, doch ich messe dem Vorfall keine weitere Bedeutung bei. Wir ruhen uns erst mal aus und schlafen, obwohl es erst Mitte Nachmittag ist. Erst als ich dann ein paar Stunden später unter der Dusche stehe und einen starken Juckreiz der Kopfhaut spüre und überall am Körper rote Flecken entdecke, mache ich mir Sorgen. Die Flecken werden immer grösser und jucken. Es ist fast nicht zum Aushalten. Reto behandelt mich mit Fenistil. Doch es hilft nichts. Zum Glück fällt mir ein, dass ich als Notfallmedikament gegen Höhenkrankheit Cortison in meiner Reiseapotheke habe. Meine Ärztin hat mir gesagt, dass dieses auch bei allergischen Reaktionen auf Insektenstiche oder bei Sonnenallergien helfen kann. Doch ich bin nicht sicher, ob dieser Ausschlag jetzt wirklich durch den Stich der Hornisse verursacht wurde. Da ich meine Hausärztin nicht erreichen kann, versuche ich es beim 24-Stunden-Telefon der Krankenkasse. Bis die Person am Telefon alle meine Angaben beisammen hat und ich unzählige Fragen beantwortet habe, bin ich mit meinen Nerven ziemlich am Ende. Weitere Minuten verbringe ich am Telefon mit Warten, da auch noch ein Arzt zu meinem Fall konsultiert werden müsse. Doch dann erhalte ich den Bescheid, dass ich vom mitgebrachten Prednison sofort 50 mg nehmen solle, morgen dann noch die Hälfte und übermorgen einen Viertel. Wenn es nicht rasch bessere, “solle ich halt einen Arzt aufsuchen”. Ich bin mehr oder weniger beruhigt, nehme das Medikament und warte auf Besserung.

Für morgen haben wir schon Pläne gemacht: wir wollen die heissen Quellen von Bibi Fatima, welche gut 500 m über dem Tal gelegen sind, aufsuchen, und am Nachmittag vielleicht das Museum besichtigen. Beim Nachtessen, das mich ein wenig ablenkt, einigen wir uns mit einem Verwandten der Familie über den Preis für die Fahrt zum Bad. Er hat einen alten russischen Jeep, den er vor 10 Jahren in Afghanistan gekauft habe.

Obwohl ich noch keine Wirkung des Medikamentes spüre, kann ich rasch einschlafen. Als ich erwache, ist der Ausschlag – oh Wunder! – völlig verschwunden und der Juckreiz ebenfalls. Ich fühle mich wahnsinnig erleichtert und freue mich jetzt auf die heissen Quellen, auf deren Besuch ich sonst hätte verzichten müssen.

Nach einem feinen Frühstück mit Milchreis und Zimt werden wir um 9 Uhr abgeholt. Mit uns kommt der Vater, der zusammen mit Tochter und deren Kind in die Gesundheitsstation des Nachbardorfes fährt. Die Frau unseres Wirtes begleitet uns zu den heissen Quellen. Ich bin froh, dass sie dabei ist, so muss ich mich nicht alleine zurecht finden. Die Grotte, in welcher das Tauchbecken liegt, wird direkt von einem mächtigen Bergbach mit dem heissen Wasser gespeist. Dieses strömt aus verschiedenen natürlichen Öffnungen, welche wie Duschen benutzt werden können. Die Nische ist von alten Schwefelablagerungen in gelben und grünen Schattierungen überzogen und sieht wie ein kostbarer alter Emailschmuck aus. Das Wasser schmeckt sehr frisch und angenehm. Mir bereitet es grosse Freude, mich unter den heissen Wasserstrahl zu stellen oder im Becken unterzutauchen. Wenn man aufrecht im Becken steht, spürt man die kühle Bergluft.

Auf dem Rückweg machen wir nochmals Fotos von der Burg, auf die wir vorher mit unserem Fahrer geklettert waren. Die Überreste von Lehm- und Steinmauern und die runden Wachtürme lassen die imposante Anlage aus dem 12. Jahrhundert erahnen.

Als wir am Nachmittag durchs Dorf zum Museum gehen, kommt Regen auf, und es wird merklich kühler. Ich bin froh, sind wir nicht irgendwo mit dem Velo auf der Strasse unterwegs. Wir warten im Museum das Ende des Regens ab. Das Museum ist einem Sufi-Gelehrten gewidmet, der am Ende des 19. Jahrhunderts im Dorf Yamg gelebt hat. Er hat einen sehr toleranten ismaelitischen Islam gelehrt und war ein vielfach begabter Dichter und Musiker.

Bis morgen sollte das Wetter wieder besser sein, und wir haben nur noch einen kurzen Weg bis Langar vor uns. Dort beginnt dann der Aufstieg zum Kargush-Pass, der mich sicher bis zum letzten fordern wird. Gemäss Angaben von anderen Veloreisenden sind die 1500 Höhenmeter über etwa 70 km bis zum Pass über sehr steile und sandige Passagen zu erkämpfen. Doch Nicole, die ich von unserer letztjährigen Reise kenne, hat mir mit einer ausführlichen Wegbeschreibung per SMS Mut gemacht. Nun erwarte ich mit viel mehr freudigen als kritischen Gefühlen unsere nächste Passfahrt.

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