Letzte Ereignisse und Erlebnisse in Kirgistan

Während Reto auf unwegsamen Schotterpfaden die letzten 15 km zum „Juwel von einem Bergsee“ hinauffährt, richte ich mich schon am Vormittag im Zelt ein und beschliesse, vorerst mal – ausser ein wenig altem, hartem Brot – gar nichts zu essen. Ich habe wieder einmal Mühe mit dem Essen. Alles widerstrebt mir und mir ist immer ein wenig übel.

Ich sitze an einen grossen Nussbaum gelehnt auf einem Stein. Ohne genau hinzusehen, bemerke ich hinter einer Hecke zwei Kinder, die mich beobachten. Ein weiteres kommt dazu und später eine junge Frau, der ich dann kurz zuwinke. Bemerkt haben sie unser Zelt ohnehin schon längst. Ich bleibe sitzen, die anderen sind etwas weiter gegangen, kauern jetzt aber schon eine ganze Weile schräg hinter mir. Was sie wohl von mir wollen? Hätten wir das Zelt hier nicht aufstellen dürfen? Jetzt ist sicher schon mehr als eine halbe Stunde vergangen, und noch immer sind sie da, in respektvollem Abstand hinter mir, und sprechen laut miteinander. Jetzt kommt Bewegung in das Grüppchen. Eins der Kinder nähert sich vorsichtig und spricht mich an. Von allem, was mir das Kind sagt, erkenne ich nur ein Wort, weiss aber nicht mehr, was es heisst: „Kukurusch“ oder so ähnlich. Da ich nicht verstehe, kommt nun auch die Frau und mit ihr die zwei anderen Kinder. Aus dem mitgebrachten Sack bietet sie mir eine Handvoll Maiskolben an, die sie eben vom nahen Feld eingesammelt hat. Erst jetzt dämmert es mir: Kukurusch, Polenta, Mais. Ich zeige auf meinen Bauch und sage, dass Tee gut sei und Essen schlecht. Ich weiss nicht, warum ich ablehne, warum ich ihnen die Freude nehme, mir etwas schenken zu können. Wenn schon nicht für mich, hätte ich es doch für Reto annehmen und kochen können.

Ähnliches ist uns schon auf dem Weg nach Arslanbob passiert. Wir kommen durch ein kleines Dorf und fragen, ob es hier einen Laden gibt. Ein Mädchen zeigt zum Haus etwas oberhalb der Strasse und führt uns hin. Oben angekommen, erweist sich der Laden als einfache Chaikhona, und wir werden gebeten, einzutreten und auf dem Hochsitz Platz zu nehmen und hier Tee zu trinken. Doch wir wollen nur etwas Kühles zu trinken kaufen, am liebsten Mineralwasser. Aber das gibt es hier nicht. Die Getränke sind zimmerwarm, im Kühlschrank hats nur Bier, und danach steht uns der Sinn trotz Hitze nun doch noch nicht. Also kaufen wir eine Flasche Birnenmost, das einzige, was uns von der ganzen Auswahl einigermassen passt. Wir wollen gehen, doch die inzwischen dazu gekommene Mutter möchte, dass wir bleiben und Tee trinken. Nochmals lehnen wir ab. Oder ob wir nicht ein wenig Kefir (Trinkyoghurt) möchten. Hier können wir nicht ablehnen, das ist etwas, das wir beide sehr gerne haben. Eine Literflasche wird fast gefüllt. Als ich bezahlen will, lehnt die Frau vehement ab. Jetzt bringt sie auch noch ein frisches Brot und erklärt mir, dass es typisch kirgisisch sei und sie es selber mache. Ich versuche zu erklären, dass wir bereits Brot haben, welches wir unten im Tal gekauft haben, und gebe es ihr zurück. Als wir schon wieder die Schuhe angezogen haben, bringt sie uns zwei (original verpackte) Glacéstängel, die wir nun sehr gerne annehmen. Wir verabschieden uns und ich realisiere einmal mehr, wie viel Freude das Beschenken macht und wie schön es ist, wenn man etwas zu verschenken hat, das eine andere Person benötigt oder brauchen kann.

So vieles wollten sie mir schenken

Als wir ein paar Tage später – nach unserem Abstecher zum Sary Chelek – zurück an die Hauptstrasse Osh-Bishkek kommen, bin ich nach weniger als einer Stunde so erschöpft, dass ich Reto sage, dass wir für die Strecke nach Bishkek eine Transportmöglichkeit suchen müssen. Wir haben schon ein paar Mal darüber gesprochen, und ich weiss, dass diese Option Reto sehr unglücklich macht. Es ist eine Notlösung, wenn gar nichts mehr geht. Und jetzt ist es soweit. Ich leide so stark unter der Hitze, mir ist dauernd halb schlecht, und ich hab einfach keine Kraft mehr zum Velofahren. Plötzlich geht alles sehr schnell. Wir haben noch gar nicht fertig diskutiert, als wir schon von Taxifahrern belagert werden, die uns nach Bishkek fahren wollen. Reto handelt einen von ihnen von 3000 auf 2000 Som herunter. Und schon beginnen die Umstehenden, unser Gepäck und die Velos auf den Dachträger eines alten Audis zu laden. In weniger als einer Stunde sind wir reisefertig, doch dann warten wir eine weitere Stunde. Der Chauffeur holt noch einen weiteren Passagier und lädt verschiedene Waren in den Kofferraum, die er in der Hauptstadt auslierfern wird.

Als wir über die Berge vor dem Toktogulsee und die zwei eindrücklichen Pässe von über 3000 m kommen, bricht es Reto fast das Herz. Wie gerne würde er diese Strecke selber fahren, anstatt in dieser Kiste eingeschlossen zu sein und die annährend 500 km in weniger als 7 Stunden absolviert zu haben. Ich weiss, er macht es nur mir zuliebe.

In Bishkek quartieren wir uns im Sakura Guesthouse ein, wo wir schon im letzten Jahr ein paar Tage gewohnt haben. Hier treffen wir viele Velofahrer wieder, die wir früher schon gesehen haben, oder von denen uns andere Reisende erzählt haben. Es ist erstaunlich, wie viele Schweizer in Zentralasien auf Velos unterwegs sind. Es ist sicher diejenige Nation, die zahlenmässig am stärksten vertreten ist.

Wir versuchen, für einen der nächsten Tage einen Flug nachhause zu buchen, und entscheiden uns schliesslich für Turkish Airlines am Montag, 27.  August 2012, via Istanbul. Wir organisieren zwei grosse Kartons für die Velos und bereiten uns moralisch auf das Ende unserer diesjährigen Zentralasienreise vor. Wir sind froh, dass wir die Tage des Wartens an einem so angenehmen Ort wie dem Sakura verbringen können, und freuen uns auf zuhause.

Obwohl wir in Kirgistan einge Enttäuschungen erlebt haben, bleiben doch die Erinnerungen an unzählige, schöne Begegnungen, an grossartige Landschaften, frisch gebackenes knuspriges Fladenbrot und eine Vielzahl an Gemüse und Früchten, wie wir sie im Pamir nicht einmal zu träumen gewagt hätten.

Begegnung in Özgün. Reto unterhält sich in bestem Russisch mit einem freundlich gesinnten Uzbeken. 

Blumen am Wegrand ganze Herden von Tieren, die auf den fruchtbaren Wiesen Kirgistans weiden. 

Unvergesslich: Ganze Herden von Yaks, wie sie die hoch gelegenen Gebiete Kirgistans besiedeln. 

Frisches Brot im Bazar von Osh

Der Bäcker von Bazar Kurgon mit den goldenen Zähnen

Das war einmal ein Fotogeschäft (… für Bruno)

Unsere LeidensgenossInnen der letzten Tage im Pamir. Luis haben wir in Bishkek wieder getroffen, Christine ist unterwegs in Usbekistan und Stephen bereits wieder zuhause bei seiner Schulklasse in Schottland. 

Gelber Mohn und weisse Malven, bei uns als Gartenblumen beliebt, sind uns auf unserer Reise oft begegnet.

 

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