Zurück vom Höhenflug

Um der Gastgeberfamilie, auf deren Bauernhof wir ohne Bezahlung zelten durften, doch noch eine kleine Gegenleistung zu bringen, nehmen wir bei ihnen das Frühstück ein. Dabei zeigt uns der Hausherr ein kleines Fotoalbum mit Bildern früherer Gäste. Darunter sind zwei portugiesische Radfahrer, die wir von letztem Jahr her kennen, als wir ihnen in Khorog mit einer Kette aushelfen konnten. Aber auch unser Schicksalsgenosse Luis aus Kolumbien hat die beiden am Anfang seiner Reise in Südostasien getroffen. Das Beispiel der beiden jungen Leute hat ihn dann dazu bewogen, seine Reise mit dem Fahrrad anstelle von öffentlichen Verkehrsmitteln fortzusetzen.


…Gruppe der ausgewiesenen Velofahrer am Tag danach

Auf einer arg mitgenommenen Strasse geht es anschliessend weiter Richtung kirgisischem Zoll, der etwa 1000 Höhenmeter tiefer als der tadschikische liegt. Wie schon letztes Jahr ist der Grenzübertritt problemlos – es ist angenehm in ein Land zu kommen, wo das Reisen ohne Sondererlaubisse, zusätzlicher Registrierung und Strassenkontrollen möglich ist. Auch sind wir natürlich erleichtert, aus Tadschikistan raus zu sein – unsere „Deportation“ lässt ja eine eher besorgnisserregende Zeit für die Pamirregion erwarten.


…letzte Blumen des Pamir


…nostalgischer Blick zurück


…kirgisisches Empfangskommitee

Unser erster Halt in Kirgistan ist Sary Tash am nördlichen Rand des Pamirs. Das Wiedersehen ist nicht nur eitle Freude. Wieder haben wir den Eindruck, bei der kirgisischen Bevölkerung nicht besonders willkommen zu sein und wieder fallen uns die vielen betrunkenen Männer mittleren Alters auf, die überall anzutreffen sind. In dieser Hinsicht haben wir uns in Tadschikistan bedeutend wohler gefühlt.


…Hauptstrasse von Sary Tash

 …Hauptstrasse von Sary Tash mit Stossverkehr

Nach einem Ruhetag fahren wir dann weiter auf dem kirgisischen Abschnitt des Pamir Highway Richtung Osh. Gleich nach Sary Tash steigt die Strasse nochmals zum letzten hohen Pass auf über 3600 m an. Dank nicht ganz uneigennütziger chinesischer Strassenbaukunst ist die Strasse in ausgezeichnetem Zustand, und wir geniessen den glatten Asphaltbelag.

…chinesische Strasse in Kirgistan mit chinesischen Riesenlastwagen

In zwei Tagen gelangen wir nach Osh, der zweitgrössten Stadt in Kirgistan. Die Stadt liegt auf knapp 1000 m Höhe im oberen Teil des riesigen Ferganatals, das sich westwärts bis weit nach Usbekistan hinein erstreckt. In Osh, wie in vielen Städten und Ortschaften des kirgisischen Ferganatals, sind grosse Anteile der Bevölkerung Usbeken. Seit der Unabhängigkeit Kirgistans kam es bereits zwei Mal zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Usbeken und Kirgisen mit Hunderten von Toten, zuletzt im Jahr 2010. Heute sind keine Zeichen von Spannungen offen erkennbar, zumindest nicht für uns. Wie uns jedoch später ein Usbeke erzählt, brodelt der Konflikt unter der Oberfläche weiter und ist von einer Lösung weit entfernt. In den meisten jungen zentralasiatischen Nationalstaaten mit ihren vielfältigen Völkergemischen dürften ähnliche Gefahren lauern.

…Walnusswald bei Arslanbob

 …Walnusswald bei Arslanbob mit arbeitenden Frauen

Osh soll angeblich älter als Rom sein, aber Zeugen davon sind keine geblieben. Verschiedene Erdbeben und die Hunnen haben die Stadt mehrfach zerstört. Heute vermittelt Osh das Bild einer jungen und dennoch leicht heruntergekommenen Stadt. Ziemlich enttäuscht fahren wir weiter Richtung Nordenwesten.

Wegen der komplizierten Grenzziehung zwischen Kirgistan und Usbekistan müssen wir zuerst allerdings einen grossen Bogen nach Nordosten machen, um nach Jalal Abad zu kommen. Wir verlieren immer noch an Höhe und entsprechend steigen die Temperaturen weiter an. Wie schön kühl war es doch auf den Hochebenen des Pamirs! Erst kurz vor unserem nächsten Ziel, Arslanbob, geht es dann wieder ein wenig in die Höhe, aber 1500 m bedeuten in diesen Beitengraden und dieser Jahreszeit keine grosse Abkühlung. Arslanbob, am Fuss von 4000er Bergen gelegen, ist berühmt für seine ausgedehnten Walnusswälder, aus denen anscheinend die Urahnen der Walnüsse stammen, die gemäss Legende von Alexanders Truppen nach Griechenland gebracht wurden. Das Wandern in diesen Wäldern ist sehr angenehm, auch wenn sie anscheinend bis vor kurzem recht stark als Brennholzquelle geplündert wurden. Erst die Verpachtung des ursprünglichen Staatwaldes an die lokale Bevölkerung mit der Auflage zu nachhaltigen Pflege brachte anscheinend eine Besserung. Heute zieht die umliegende Bevölkerung jeden Herbst zur Walnussernte in die Wälder. Der Ertrag wird an eine türkische Firma verkauft, welche die Nüsse nach Europa liefert. Trotz der Wälder und der schönen Lage von Arslanbob will bei uns keine richtig Hochstimmung aufkommen. Wir fangen an, Parallelen mit dem Tessin zu ziehen, wo es im Herbst auch sehr schön ist und erst noch kühler und mit besserem Essen. Eine Bereicherung unseres Aufenthaltes in Arslanbob waren die Gespräche mit dem Besitzer unseres Guesthouse. Der Mann ist Deutsch- und Englischlehrer im Dorf und konnte uns viele interessante Informationen zum lokalen Leben und zu Kirgistan geben. So konnte er mir eine Erklärung liefern, warum es in Kirgistan so viele Pferde gibt und warum auf den Friedhöfen Pferdeschwänze an den Grabmälern hängen: Beim Tod eines traditionsbewussten Kirgisen wird ein Pferd geschlachtet. Die Seele dieses Pferdes ist dann das Reittier des Verstorbenen im Jenseits, das Fleisch des Tieres wird zur Speisung der Trauergemeinde gebraucht und sein Schwanz wird an das Grabmal gehängt.
Von Arslanbob geht es wieder in die Gluthitze des Ferganantals hinunter. Wie wir später erfahren, war die Ecke, die wir zu durchqueren hatten, zu dieser Zeit mit 40 Grad die heisseste Kirgistans. Erst nach Tash Kömür gehts langsam ein wenig höher. Die durch das hügelige Gelände bedingte Anstrengung macht jedoch die kaum spürbare Abkühlung mehr als wett. Rosa Maria leidet zudem an Bauchproblemen und Übelkeit, wahrscheinlich verursacht durch ihr Lieblingsessen, das uns zum Abschied in Arslanbob zubereitet wurde. So kämpfen wir uns langsam Richtung Sary Chelek. Der hochgerühmte Gebirgssee, inmitten eines von der Unesco anerkannten Naturschutzgebietes, ist uns ein Umweg von 200 km wert. Als wir dann schlussendlich im Nationalpark ankommen und uns noch 15 km und 800 sehr steile Höhenmeter bis zum See fehlen, kann Rosa Maria nicht mehr. Wir stellen das Zelt auf und sie bleibt mit dem Gepäck zurück. Ich fahre noch zum See hoch und hab wiederum ein ähnliches Gefühl wie in Arslanbob: In der Schweiz kenne ich etliche Gebirgsseen, die ich bedeutend schöner finde – und das ohne patriotische Nostalgie. Ich frag mich langsam, wo die Autoren unseres Lonely Planet Reiseführers herkommen. Zurück in unserem „Basislager“, kann ich Rosa Maria guten Gewissens über die verpasste Sehenswürdigkeit trösten. Was uns jedoch langsam abhanden kommt, sind weiterere mit dem Rad erreichbare Wunschziele in Kirgistan. Zumindest solche, für die wir in der aktuellen Hitzeperiode die notwendige Leidensbereitschaft aufbringen.


…Sary Chelek

…letzter Zeltplatz unserer Reise

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