Panne

Am frühen Nachmittag kamen wir in Telavi, der grössten Stadt der Region an. Wir bezogen unser Logis bei einer älteren Dame namens Sophia. Sie bot uns ihr grosszügiges Schlafzimmer an und übernachtete dann selber auf dem Sofa im Wohnraum.

Am frühen Nachmittag machen wir einen Abstecher zum Chavchavdnaze-Museum in Tsinandali. Hauptmotivation zur Besichtigung ist die Sammlung alter Fotos des edlen Chavchavdnaze. Diesem wurden im 19. Jahrhundert während eines Überfalls von Dagestaner Räuberbanden Frauen und Kinder entführt. Dazu muss man wissen, dass die Dagestaner auf dem Hin- und Rückweg den Hohen Kaukasus übequeren mussten. Um das verlangte Lösegeld aufzubringen, musste er sein riesiges Weingut verpfänden. Die Entführten kamen zwar zurück, doch das Pfand konnte er dann später nicht mehr zurückzahlen. Fotos zum Thema gab es in der Ausstellung jedoch nur wenige, dafür erfahren wir von der fliessend Deutsch sprechenden Führerin vieles über die Geschichte dieses Edelmannes und Schöngeistes. Das Gut war ein Geschenk des georgischen Königs. Ob er die 1200 Leibeigenen zu dessen Bewirtschaftung als Beigabe bekam oder ob er sie auf dem freien Markt selber erwarb, ist nicht klar. Mit dieser kleinen Anschubfinanzierung konnte er jedoch einen standesgemässen Lebenswandel führen. Er pflegte Beziehungen zur Haute Volée in Russland und Europa. Gleichzeitig modernisierte er den georgischen Staat, was das auch immer heissen mag.

A propos Raubzüge über den Kaukasus hinweg: Schon vor dem modernen Kapitalismus war es gängige Tradition, sich den Reichtum – anstatt durch Arbeit – durch Raubzüge zu verschaffen. Gefährdet waren primär Städte und Gemeinschaften, bei denen es etwas zu holen gab. So wurden in der ganzen Gegend Städte mit Befestigungsmauern umgeben und in den kleineren Dörfern wurden Türme errichtet, wohin sich die Leute bei Gefahr zurückziehen konnten. Sighnaghi, das Ziel unserer Reise, rühmt sich, die längste Mauer nach der chinesischen zu haben!

Bei der Rückkehr offerieren uns Sophia und Tochter Marina Brot, Käse und Wein. Er schmeckt uns sehr gut. Sein Aroma erinnert an die Americano-Trauben (Chatzeseicherli), wie sie im Tessin wachsen. Rosa Maria kocht zum Znacht Risotto mit geraffelten Rüebli und Käse aus dem Duisital.

Am anderen Morgen besuchen wir das Tourismusbüro. Eine sehr freundliche junge Frau telefoniert für uns nach Sighnaghi (das „gh“ wird wie ein französisches „r“ ausgesprochen) und reserviert für uns ein Zimmer in Nanas Guesthouse.

Am nächsten Morgen fahren wir bei Regen los. In kontinuierlichem Auf und Ab geht es Richtung Sighnaghi. Der Regen lässt nach, aber dann passiert das Unglück: Die Felge am Hinterrad von Rosa Maria streift. Mit Entsetzen stellen wir fest, dass die Felgenflanke ein Stück weit aufgerissen ist. So können wir nicht mehr lange weiterfahren. Für den Schlussanstieg zum hoch über dem Tal gelegenen Sighnaghi reicht es gerade noch.

In Nana’s Guesthouse, beziehen wir ein kaltes Eckzimmer mit vielen Fenstern auf den Platz. Der Zugang erfolgt über die Veranda im 1. Stock, die Velos stehen in ihrem Souvenirshop hinter dem Ladentisch. Dank einem elektrischem Ofen, den wir aus der „Bibliothek“ entwenden, werden unsere total verschwitzten Kleider doch noch trocken.

Beim Nachtessen lernen wir Barbara und Brad aus Vancouver (Kanada) kennen, beide etwas älter als wir. Sie haben vorher Armenien bereist und uns von ihren zwei abenteuerlichen Reisen durch Aethiopien erzählt. Mit ihnen haben wir vereinbart, dass wir uns für 100 Lari (ca. 55 CHF) ein Taxi für einen Tagesausflug nach Davit Gareja teilen wollen.

Bei der anschliessenden Suche im Internet finden wir die wahrscheinlich einzige gute Adresse in Tbilissi, um eine neue Felge für mein Velo zu bekommen: Ein Mann namens Ronicha oder Khvicha soll im alten Velodrom eine Werkstatt haben. Wir werden am Montag mit dem ersten Sammeltaxi nach Tbilissi fahren und das Hinterrad mit der defekten Felge mitnehmen. Wir hoffen, dass wir noch am gleichen Tag mit der neuen Felge, frisch eingespeicht, wieder zurück nach Sighnaghi kommen.

This entry was posted in Begegnungen, Material, Reiseberichte. Bookmark the permalink.

Schreiben Sie einen Kommentar