Erkundigungen im Pankisital

Von unserem Guesthouse in Duisi unternehmen wir mehrere Velo-Ausflüge in die nähere Umgebung. Gestärkt von den üppigen Frühstücken hätten wir ausreichende Reserven, um den Hohen Kaukasus zu überqueren. In den Dörfern die wir durchqueren fallen die zum Teil ausserordentlich elegant gekleideten Frauen auf. Sie tragen traditionelle Kleider, aber die farbenfrohen Stoffe und die langen, enganliegenden Röcke, die ihre schlanken Körper zur Geltung bringen, entsprechen überhaupt nicht unserem Bild von muslimischen Frauen. Auffallend ist auch ihr Selbstbewusstsein: Sie versuchen nicht krampfhaft jeden Blickkontakt zu vermeiden und erwidern auch Begrüssungen oder sie antworten auf Fragen. Dieses unseren Clichés widersprechende Verhalten ist eine Folge der sufistischen Form des Islams, welche hier gelebt wird. Es passt auch zu der Aussage, dass sich die muslimischen Khisten stärker ihrer Traditionen als ihrer Religion verpflichtet fühlen. 

Wegen der grassierenden Arbeitslosigkeit sieht man auch häufig Gruppen junger Männer, die zusammen ihre Zeit totschlagen. Wie man uns erzählt, müssen viele junge Georgier ins Ausland gehen, um Arbeit zu finden. Erstaunlicherweise auch nach Tschetschenien oder ins übrige Russland, trotz der immer noch herrschenden Feindseligkeiten zwischen Georgien und Russland. Die Hürde liegt jedoch mit den Kosten von 1300 $ für ein russisches Visum sehr hoch. 

Die Kinder sind wie überall sehr neugierig, jedoch im Gegensatz zu den meisten übrigen Drittweltländern eher scheu und unaufdringlich. Die „hello mister“ und „how are you“ hören wir sehr spärlich. 

Die tschetschenischen Flüchtlinge, die immer noch im Tal leben, fallen uns kaum auf. Vielleicht sind es die stärker verhüllten Frauen oder die exotischer aussehenden jungen Männer. Anders als anfangs der 2000er Jahre ist ihr Flüchtlingsanteil bedeutend kleiner – eine Folge der abgeflauten Kämpfe und der stärker blühenden tschetschenischen Wirtschaft, die viele Leute zur Heimkehr bewogen hat. Die Zeiten, als das Pankisital ein vermeintlicher Hort des internationalen Terrorismus war, sind vorbei, wenn es sie überhaupt je gegeben hat. 

Da früher im Pankisital Moslems und Christen zusammenlebten – heute sind erstere in der grossen Mehrheit – befinden sich Moscheen und Kirchen in enger Nachbarschaft. Die Wohnhäuser sind vielfach sehr grosszügig gebaut, aber wegen der grossen Armut in einem sehr kläglichen Zustand. Im zweistöckigen Haus unserer Gastgeber gibt es auch im Obergeschoss Lavabos und WC’s, aber der Druck der kommunalen Wasserversorgung ist so gering, dass das Wasser nur im Hof aus einem einzigen Hahn auf Bodenniveau spärlich herausfliesst. Grössere Mengen werden aus dem eigenen Ziehbrunnen im Garten geholt. Die grossen Gärten, welche die Häuser umgeben, machen die Familien bezüglich ihrer Versogung mit Gemüsen, Früchten und Geflügel weitgehend autark, so dass man in den Lebensmittelgeschäften kaum diese Produkte finden kann (sehr zu unserem Leidwesen, wenn wir für unterwegs darauf angewiesen wären). 

Mary (12) und Bugo (10) sind die Kinder von Badis Tochter. Sie wohnen seit ein paar Monaten hier im Haus, d.h. Nata sorgt für sie. Ihre Mutter Duna wohnt im letzten Dorf des Tales, bei ihrem Schwiegervater. Der Vater der Kinder musste weit weg, um Arbeit zu finden. Sie seien sehr arm. Duna werde in den nächsten Tagen ebenfalls hierher kommen, zusammen mit ihrer kleinsten Tochter Diana. Wenn der Vater Ende Oktober nachhause kommt, werden sie in ein 3-Zimmer-Häuschen in ihrem Dorf ziehen. Doch bis dann scheint sich Nata um die Schwester ihres Mannes und deren Kinder zu kümmern.

Einer unserer Ausflüge führte uns in eine Schlucht am Fusse des grossen Kaukasus. Da in dieser Region immer noch Bären leben, war uns schon ein wenig mulmig zu Mute. Wenn wir auf einen Kothaufen trafen, stellten wir immer Vergleiche mit Erinnerungen vom Bärengraben an. Die Unsicherheit führte Rosa Maria und mich gar dazu, gemeinsam schweizerische und italienische Volkslieder zu singen, was bekanntlich auf Bären (und vielleicht nicht nur auf diese) abschreckend wirkt. 

 

An diesem Herd in der «Sommerküche» kocht Nata die Mahlzeiten für Familie und Gäste.

 

… stammt das wohl von einem Bären?  

 

Nata, Rosa Maria, Badi

Grosse Wäsche, ohne Waschmaschine, ohne fliessendes Wasser

This entry was posted in Begegnungen, Reiseberichte. Bookmark the permalink.

Schreiben Sie einen Kommentar