Unterwegs im Norden Irans

Da uns nicht mehr so viel Zeit vor Ablauf des Iran-Visums bleibt und wir ungern auf Autobahnen mit dem Velo unterwegs sind, nehmen wir wieder einmal einen Bus. Unser Ziel ist Kashan, eine schöne alte Stadt, die für ihre Architektur bekannt ist. Wir besuchen eines der historischen Wohnhäuser. Es sind wahre Prachtbauten, welche im letzten und vorletzten Jahrhundert von reichen Händlern erbaut wurden. Von aussen sieht man nicht viel mehr als hohe Lehmmauern, welche die Anlage vor jedem Einblick schützen. Das Interessante ist, dass die Häuser zwei oder mehr Stockwerke tief in die Erde gebaut wurden. Der Aushub wird direkt für die Herstellung der benötigten Ziegelsteine für die Mauern verwendet. Auf der Höhe der umgebenden Gassen liegen die Eingänge, u.a. zu Eingangshalle, Dienstbotenhöfen und auch zum Stall, wo Pferde gehalten wurden. Die eigentlichen Wohn- und Aufenthaltsräume und -höfe liegen tiefer und sind oft prunkvoll ausgeschmückt. Wir wohnen in einem solchen Haus, allerdings in einem sehr sehr einfachen, welches seit kurzem als Guesthouse genutzt werden kann. Hier treffen wir beim Frühstück auf Mamak, eine lebenslustige Tehranerin mit Niki, ihrer Tochter. Sie laden uns ein, mit ihnen im Auto nach Niazar zu fahren. Dort blühen jetzt die Duftrosen, die zu Rosenwasser destilliert werden. Es duftet betörend gut und wir probieren neben dem Rosenwasser verschiedenen Kräuterdestillate. Wie gerne würde ich hier Geschenke für zuhause einkaufen! Niki hat Architektur studiert und mit ihr besuchen wir eine Anlage mit Höhlen und Grotten, wohin sich früher die Zoroaster zum Fasten zurückzogen. Am Ausgang des Dorfes steht ein Feuertempel. Die Einfachheit des Baues und seine erhabene Schönheit erwecken in mir Ehrfurcht. Als wir in die Stadt Kashan zurückkommen, zeigt uns Mamak noch einen Ziggurat, das ist eine 4-5000 Jahre alte Stufenpyramide aus der Zeit der Elamer. Hier finden sich Siedlungsspuren, die bis 7000 Jahre vor unserer Zeitrechnung liegen.
Beim Mittagessen erfahren wir, dass Mamak lange in den USA gelebt hat und jetzt u.a. als Übersetzerin arbeitet. So hat sie die Untertitel von mehreren iranischen Filmen gemacht, die wir gesehen haben (u.a. „Santori“ und den Film mit den Kirschbäumen). Sie ist eine sehr unternehmenslustige und energische Frau. Diesen Herbst will sie zusammen mit einer Gruppe den den heiligen Berg Kaylash in Tibet umwandern, und sie ist gerne in Indien als „Backpackerin“ unterwegs.
Am Nachmittag unternehmen wir eine Tour nach Abbyianeh. Im Gegensatz zum Ausflug mit Mamak erweist sich diese als Enttäuschung. Das vielgerühmte Dorf ist recht touristisch. Wahrscheinlich sind wir einfach verwöhnt, weil wir schon so viel Schönes und Interessantes auf unserer Reise gesehen haben.

Die nächste Station liegt gut 500 km weiter im Norden. Es ist Rasht in der Provinz Gilan. Wir möchten nochmals in die Berge und sehnen uns nach angenehmeren Temperaturen, sauberem Wasser, grünen Wiesen mit Blumen. In Rasht übernachten wir bei Samira, einer begeisterten Bergsteigerin/Sportkletterin und Geologiestudentin, und ihrer Familie. Lange unterhalten wir uns mit ihr, ihrem schottischen Freund Paul, ihrer Mutter aus Bangladesh und ihrem Vater, der als Chirurg in einer Notfallstation arbeitet. Samira träumt von der Antarktis und einem Nachdiplomsstudium im Ausland. In Iran bleiben ihr als Frau viele Möglichkeiten verwehrt. Es wäre wunderbar, wenn sie ihre Pläne verwirklichen könnte…
Am folgenden Tag geht es endlich wieder einmal mit dem Velo weiter. Es macht Freude, durch die Ebene mit den exotisch anmutenden Reisfeldern und den akribisch gestutzten Teeplantagen zu fahren. In Fuman finden wir auf dem Bazar das bisher weitaus vielfältigste und schönste Angebot an Früchten und Gemüsen. Vor dem Aufstieg nach Masuleh decken wir uns grosszügig für die nächsten paar Tage ein. Mittagspause machen wir vor einer Moschee, wo wir eine bequeme Bank im Schatten von grossen Bäumen gefunden haben. Moscheen sind ideale Pausenplätze, da es dort immer genügend Wasser und WCs gibt. Als ich unsere Rüebli wasche und schäle, kommt eine alte Frau und schenkt mir eine zerknitterte kleine Banknote. Ein Almosen…? Ich freue mich über die freundliche Geste.
Kurz vor unserem Ziel beginnt es zu regnen und es wird merklich kühler. Wir nehmen Zuflucht zu einem am Weg liegenden Teehaus und beraten, ob wir hier in der Nähe das Zelt aufstellen sollen, entscheiden uns aber für die Weiterfahrt. Die letzten 10 km sind steil und anstrengend, doch es zeigt sich, dass der Entscheid richtig war. In Masuleh finden wir ein altes grosses Hotel, in welchem wir für ca. 25$ eine grosse „Einzimmerwohnung“ mit Bad, Küche und Balkon und einem Gasofen finden. So können wir bequem unsere Kleider waschen und trocknen und uns einen gesunden Gemüseeintopf kochen. Masuleh gehört zu den alten intakten Dörfern, die seit mehr als 1000 Jahren bestehen. Die Lage am Berghang ist so steil, dass die dicht an dicht gebauten Lehmhäuser fast übereinander übereinander liegen. Das Flachdach des unteren Hauses wird als Vorplatz des nächsthöher gelegenen genutzt. So und über verbindende Treppen kann man durch das ganze Dorf spazieren. Besonders gefallen hat mir, dass dieser Ort über einen richtigen schmucken Bazar verfügt, mit Lebensmitteln, Konditoreien, einem Brotbäcker, einem Schmied, verschiedenen Handwerkern, mit einladenden Teehäusern und natürlich ein paar Souvenirläden mit lokalen Spezialitäten.
Auf unserer Karte ist nicht ersichtlich, wie hoch die Pässe sind, über welche wir in den nächsten Tagen bis Ardabil oder mindestens bis Khalkhal gelingen möchten. Wir erfahren, dass von den ca. 80 km zum nächsten Dorf 12 km nicht asphaltiert sind. In Wirklichkeit ist weit mehr. Die ganze Strecke, die wir an diesem Tag bewältigen, ist schlechte Naturstrasse und so steil, dass wir auf vielen Abschnitten jeweils zu zweit ein Velo nach dem anderen schieben. So kommen wir kaum vorwärts. Verkehr hat es fast keinen. Gemäss unseren Erwartungen sollten wir längst die geschätzte Höhe erreicht haben. Doch es geht immer weiter aufwärts. Mitte Nachmittag beginnt es zu regnen. Ein Gewitter naht. Da kommt uns plötzlich ein Velofahrer entgegen. Ein gut gelaunter junger Pole, der am Morgen in Khalkhal aufgebrochen ist. Er liebe solche Strassen, und auch das Wetter scheint ihm nichts auszumachen. So wie es aussieht, hat er gute Goretexhandschuhe, -hosen und -jacke. Er hält nur kurz und beantwortet unsere Fragen nach der Fortsetzung der Strasse. Er meint, dass uns noch etwa 200 Höhenmeter und ca. 5 km vom Sattel trennen. Obwohl der Regen immer stärker wird und Blitze und Donner uns erschrecken, wollen wir weiter. Nach weiteren ca. 3 km geben wir auf. Es wird schon dunkel und das Gewitter lässt nicht nach. Schon halb durchnässt suchen wir einen einigermassen ebenen Platz für das Zelt. Der Wind zerrt so stark an Zeltwänden und -boden, dass es uns einfach nicht gelingt, die Stangen in den dafür vorgesehen Stoffkanälen zu fixieren. Nach vielen erfolglosen Versuchen bricht ein Element einer Zeltstange. Inzwischen haben wir so kalt, dass wir schlottern und kaum mehr in der Lage sind, mit den klammen Fingern Schnallen zu lösen und Reissverschlüsse zu schliessen. Wir transportieren Velos und Gepäck und das lose Zelt zu einem geschützteren Platz. Im Halbdunkel gehen wir zu Fuss auf die Suche nach einer Hütte oder einem Unterstand der Hirten. Erfolglos. Wenigstens hat uns der Marsch ein wenig erwärmt. Zurück beim Zelt gelingt es uns, dieses mithilfe einer – erst nicht einmal passen wollenden – Reservestange aufzustellen. Durchnässt und durchfroren versorgen wir das Gepäck in den Vorräumen und tauschen die nassen und verschlammten Kleider durch warme trockene und verkriechen uns ins Zelt. Jetzt nur noch die Matten aufpumpen und die Schlafsäcke auspacken und eine weitere Schicht warmer Kleider anziehen. Welche Wohltat, von Wind, Wetter, Kälte und Regen geschützt zu sein! Sicher täte es gut, jetzt eine warme Suppe zu essen oder mindestens einen heissen Tee zu trinken. Doch bei diesem Sturm wäre es unvorstellbar, den Kocher zu benutzen. Ausserdem sind wir so erschöpft und müde, dass wir nur noch eines wollen, schlafen. Ich schlafe fast augenblicklich ein, obwohl der Sturm noch immer tobt und an den Zeltwänden rüttelt.
Am nächsten Tag ist es zwar noch kühl, doch der Regen hat aufgehört. Nach längerem Beraten entschliessen wir uns, aufzugeben und nach Masuleh und morgen nach Rasht zurückzukehren . Es macht für uns keinen Sinn, auf dieser Strecke weiter nach Norden zu fahren. Auch ist die Landschaft eher eintönig. Vor dem gestrigen Regen konnte ich zum Glück noch ein paar schöne Bergblumen fotografieren.
Ich bin froh um die wasserdichten Socken. Obwohl meine Schuhe durchnässt sind, spüre ich nichts davon. Unter der Regenhose trage ich lange Wollunterwäsche und darüber – zum Trocknen – die noch immer nasse Trekkinghose. Oben einen warmen Pullover und meine Goretexjacke.
Die über 1200 m Talfahrt nach Masuleh sind gar kein Vergnügen. Die Hände schmerzen vom dauernden Bremsen. Das anstrengende Schieben der Räder von gestern hat meinem rechten Handgelenk so zugesetzt, dass ich fürchte, mir eine Nervenentzündung zugezogen zu haben. Handschuhe anziehen oder die rechte Hand spreizen kann ich nur noch, wenn ich ganz fest auf die Zähne beisse. Ich bin schlecht gelaunt und Zweifel plagen mich. Ob ich mit meiner Kraft und Erfahrung unserem Vorhaben überhaupt gewachsen bin…?
Unterwegs waschen wir noch den Schlamm von den Saccochen und den Velos. Zurück im Hotel Mehran sieht alles schon wieder besser aus. Inzwischen scheint die Sonne und Reto kocht eine grosse Portion Spaghetti all’oglio d’oliva.
Wir machen eine grosse Wäsche und sind froh, dass wir einen Balkon und einen Ofen haben, um die Kleider zu trocknen. Reto repariert das Zelt. Am Abend schlendern wir nochmals durch den Bazar und kochen uns einen feinen Znacht und trinken mit Rosenwasser aromatisierten Tee.

So endet unser Abenteuer, und wir sind um ein paar Erfahrungen reicher. Beim nächsten Regen oder Gewitter ziehen wir sicher rechtzeitig Regenhosen und -jacken an und sorgen dafür, dass wir nicht frieren. Von der Ausrüstung haben wir ja alles Notwendige dabei.

Und meine vermeintliche Nervenentzündung entpuppt sich als harmlos. Nach zwei drei Tagen kann ich meine rechte Hand schon wieder ganz ohne Schmerzen bewegen.

Die Fotos folgen vorerst als Galerie, da dies am schnellsten geht.

 

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