Neues Glück

Über unseren restlichen Aufenthalt in Karakol am Westende des  Issikkul-Sees lässt sich nicht sehr viel erzählen. Karakol wurde ursprünglich als Garnisonsstadt für die zaristischen russischen Armee gebaut und hat auch den entsprechenden Charme. Die Attraktion der Stadt besteht denn auch eher in der Berglandschaft der Umgebung, welche viele Treckingmöglichkeiten bietet. Für das östliche Tien Shan Gebirge an der Grenze zu China, das uns hauptsächlich lockt, ist die Jahreszeit jedoch zu fortgeschritten. Bereits sind hochgelegene Teile davon eingeschneit oder können es jederzeit werden.
So besteht denn auch unsere Hauptaktivität in Karakol in der Verfolgung des Weges unseres Päckchens mit der heissersehnten Ersatz-Campingausrüstung. Zu diesem Zweck stellt die Schweizer Post eine spezielle Webseite zur Verfügung. Jedem entgegengenommenen Paket wird zudem ein eigener Identifikationscode vergeben. Nach Eingabe des Codes spuckt die Webseite aus, welche Stationen die Sendung auf dem Weg zum Empfänger durchlaufen hat. Der Anfang der Reise unseres Paketes ist eher entmutigend: geschlagene vier Tage bleibt das Päckchen in Basel liegen. Am fünften Tag ist es am Euro Hub in Brüssel angelangt. Am sechsten Tag kommt dann die wenig sagende Meldung „Die Sendung wurde weitergeleitet“. Dann am siebten Tag die Erlösung: Das Päckchen ist am Zoll am Flughafen von Bishkek angelangt. Am Tag darauf verladen wir unsere Räder und Gepäck auf eine Marschrutka und fahren bei trübem Wetter die ca. 400 Kilometer nach Bishkek.
Am nächsten Tag, einem Samstag, machen wir uns auf die Suche nach dem lokalen Büro des Speditionsdienstes TNT, welches für die Auslieferung unseres Paketes an Ort zuständig ist. Die Adresse haben wir von der Gastwirtin unseres Homestays, an welches wir das Packet adressiert haben. Sie wurde telefonisch von dessen Ankunft in Bishkek avisiert und kann uns sogar die Farben des Firmensignetes sagen, da sie bereits mit TNT zu tun hatte. Das Gebäude mit der angegebenen Adresse haben wir schnell gefunden, das Büro können wir aber auch nach intensiver Inspektion des langgezogenen Wohnblocks nicht finden. Den gefragten Angestellten im Parterre des Gebäudes ist der Name TNT ebenfalls kein Begriff. Erst ein sprachlich hürdenvolles Telefongespräch mit TNT lässt in uns dann den Verdacht aufkommen, dass ihr Büro in einer Verlängerung der Strasse liegt, in der wir gesucht haben. Dieser Teil hat einen anderen Namen und ein eigenes Nummerierungssystem. Nach einem längeren Fussmarsch bestätigt sich unser Verdacht und wir stehen vor dem Büro der TNT. Die beiden ausserordentlich hilfsbereiten Angestellten eröffnen uns, dass wir wegen des hohen Wertes der Sendung das Paket persönlich beim Zoll am Flughafen von Bishkek abholen müssten, dass uns jedoch ein Vertreter ihrer Firma am Flughafen behilflich sein würde. Dieser Vertreter wird instruiert, dass es sich bei der Lieferung um Ersatzmaterial handelt und dass diese Güter für den Eigenbedarf sind und auch wieder ausgeführt werden. Dann wird uns ein Taxi bestellt, der Fahrpreis mit dem Fahrer auf ein ortsübliches Niveau plafoniert, und wir fahren los zum weit ausserhalb der Stadt gelegenen Flughafen. Dort holt uns der telefonisch avisierte TNT-Vertreter an der Schranke zum Zollbereich ab und führt uns ins Innere. Was folgt ist eine mehrstündige Warterei, unterbrochen vom Unterschreiben von für uns unverständlichen Formularen und Deklarationen. Soviel wir mitbekommen, handelt es sich bei der ganzen Geschäftigkeit unseres Agenten um eine geduldige und zähe Überzeugungsarbeit gegenüber den Zollbeamten, um uns eine hohe Zollabgabe zu ersparen. Gegen vier Uhr nachmittags, kurz vor Arbeitsschluss, werden wir mit dem Ergebnis seiner Bemühungen konfrontiert: Wir müssen für das Material mit einem deklarierten Gegenwert von fast 1300 Franken gerade mal 60 Rappen Zollabgabe bezahlen. Dazu kommen noch knapp  drei Franken für die Übersetzung der deutschen Zolldeklaration ins Russische. Dann wird uns das Pack von Bächli-Bergsport übergeben und als kleine Dreingabe mit dem TNT-Lieferwägelchen noch zum 500 Meter entfernten Taxistand des Flughafens chauffiert. Glückselig trotten wir hinterher und freuen uns wie kleine Kinder unter dem Weihnachtsbaum. Noch während der Rückfahrt nach Bishkek öffnen wir das Paket und versichern uns, dass wirklich all die zugesagten Dinge drin sind. Am Abend investieren wir dann einen Teil der ersparten Gebühren in ein Essen in einem teuren italienischen Restaurant und leisten so doch noch einen kleinen Beitrag an die kirgisische Volkswirtschaft. Beim Dessert schmieden wir bereits Pläne, wie wir die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit nutzen können, die sich durch die neue, intakte Campingausrüstung ergibt – ein kleiner Höhenflug liegt jetzt nochmals drin!

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