Über den Irkeshtam von Sari Tash nach Kashgar

Noch in der Schweiz, hatten wir uns ganz kurz vor unserer Abreise entschlossen, ein chinesisches Visum zu beschaffen. Nicht, dass wir im Sinn gehabt hätten unsere Tour auf gant China auszudehnen. Das Visum würde es uns jedoch ermöglichen, unter Umgehung von Osh und Jalalabad über China in den Norden Krigistans zu reisen, falls in den beiden krigisischen Städten wieder Unruhen ausbrechen sollten. Im Moment ist es in Osh und Jalabad zwar ruhig, aber der Verlockung, China einen Kurzbesuch abzustatten, konnten wir doch nicht wiederstehen. So geht es von Sari Tash nicht nach Norden Richtung Zentrum Kirgistans, sondern nach Osten, wo der Grenzübergang nach China liegt. Wir fahren im gleichen breiten Tal, das wir schon von unserem Besuch Sari Moghul’s kennen. Diesmal gehts jedoch talaufwärts. Auf der rechten Talseite erheben sich steil die schneebedeckten Berge vom Südrand des Pamir, auf der linken Seite die grünen Hänge der kirgisischen Alaj Kette. Auf dem breiten flachen Talboden mäandriert der Kyzyl Suu Fluss mit seinem tiefroten Wasser und dazwischen grasen Yaks, Pferde, Ziegen und Schafe.

auf der rechten Talseite die Schneeberge des Pamir


auf der linken Talseite die grünen Hügel Kirgistans


…dazwischen das breite Tal mit dem mäandrierenden Fluss

Es ist sicher eine der schönsten Strecken, die wir auf unser Reise bisher gesehen haben. Die frisch asphaltierte Strasse lässt uns die Fahrt ungestört geniessen. Wir haben sogar Unterstützung durch einen frischen Rückenwind und spüren die anfänglich sanfte Steigung kaum.

Schäfer mit seiner Herde

Am Fuss des Irkeshtam-Passes wird die Strasse steiler und führt uns in einem Bogen nach Süden auf den höchsten Punkt. Wir sind wieder auf über 3700 m und haben die hohen Pamirgipfel nochmals direkt vor unseren Augen. Eine schöne Art Abschied zu nehmen (in der leisen Hoffnung auf ein mögliches Wiedersehen).


…Radeln vor ewigem Schnee


...auf dem Irkeshtam: Wo geht’s hier weiter?

Nach dem Pass geht es steil runter. Die perfekte Strasse ohne tückische Schlaglöcher erlaubt es auch, sich wieder einmal den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen. Nach der Durchquerung eines tief eingeschnittenen Tales geht es wieder steil aufwärts.


…am Zusammenfluss von rotem und blauem Wasser

Als wir den obersten Punkt des Zwischenanstiegs erreicht haben, machen wir Schluss für heute und stellen auf einer einsamen Wiese unser Zelt auf. Im Hintergrund verblassen die schneebedeckten Bergriesen im Abendlicht.


…in der Dämmerung ein letzer Blick zurück auf den Pamir

Die Nacht wird für mich trotz der schönen Umgebung recht unruhig, muss ich doch mehrfach erbrechen. Am nächsten Morgen ist der Magen wieder in Ordnung, aber sonst fühle ich mich so schlapp, dass ich kaum einen Finger rühren mag. Glücklicherweise geht es bis zur nahen Grenze nur noch runter.

Der kirgisische Zoll kündigt sich mit einer langen, stehenden Lastwagenkolonne an. Wir können uns zum Glück durch die eng stehenden Fahrzeuge durchschlängeln und gelangen so zum kirgisischen Posten.


…hier sind wir im Vorteil

Die Ausreise-Abfertigung geschieht für hiesige Verhältnisse recht zügig und wir können bald zum 5 km entfernten chinesischen Posten weiterfahren. Auch dieser wird von einer langen Lastwagenkolonne belagert. Wieder schleichen wir uns durch und stehen vor einem grossen eisernen Portal, das mit chinesischen Schriftzeichen verziert ist und aussieht wie der Eingang zu einem Schlosspark. Wir werden durchgelassen und gleich anschliessend erfolgt die Gepäckkontrolle. Wir werden aufgefordert, einzelne Saccochen zu öffnen, diese werden dann aber eher lustlos und oberflächlich inspiziert. Dann heisst auf einmal, wir sollten uns beeilen und zur 5 km entfernten Einreisekontrolle rasen, innert Kürze würde dort die dreistündige Mittagspause beginnen. Die Grenzbeamten helfen uns beim Beladen der Fahrräder und feuern uns nochmals für die bevorstehende Spurtstrecke an. Keuchend erreichen wir das Gebäude der Einreisekontrolle und werden noch vor Torschluss zur langen Siesta eingelassen. Ein ausnehmend freundlicher Beamter begrüsst uns und bittet uns, Platz zu nehmen, bis die Personenkolonne vor der Schleuse zur Dokumentenkontrolle sich verkürzt hat. Als wir ihm sagen, dass wir eine Fahrgelegenheit mit einem Lastwagen Richtung Kashgar suchen, weil die Strasse auf einer langen Strecke im Umbau ist, bietet er seine Hilfe bei der Suche eines Fahrzeugs an. Vor so viel Hilfsbereitschaft eines chinesischen Beamten müssen wir gleich einmal einige Clichés in Frage stellen. Die anschliessende Einreisekontrolle überstehen wir ziemlich schnell und schmerzlos und befinden uns kurz darauf im Reich der Mitte.

Hinter dem Zollgebäude warten wir, bis der freundliche Beamte von seiner Mittagspause zurückkehrt und uns einen Lastwagen für den Weitertransport vermittelt. Als es dann schon vier Uhr wird und immer noch keine Anstalten zur Wiedereröffnung der Einreisekontrolle gemacht werden, suchen wir uns selbst eine Transportmöglichkeit. Wir finden einen Kleinbus, der zwar nicht nach Kashgar aber Ulugqat, der ersten Stadt nach dem Bauabschnitt fährt. Neben uns, unseren Rädern und Gepäck wird der Minibus auch noch bis zum Dach mit lokalen Passagieren vollgepfropft. Nach unserer Karte hätte die Fahrtstrecke etwa 50 km betragen sollen. Als der Kleinbus nach 2 Stunden hält, glauben wir angelangt zu sein. Der Halt dient jedoch nur dazu, einige Passagiere und unsere Räder auf ein anderes Pick-up umzuladen. Mit Mühe ergattere ich einen Platz auf dem Zusatzfahrzeug und kann so wenigstens unsere Velos im Auge behalten.


…können wir denen trauen?

Auf der Weiterfahrt merke ich dann, dass ich weder chinesisches Geld noch ein Telefon dabei habe. Ich male mir schon aus, wie ich wohl Rosa Maria im riesigen China wiederfinden würde, wenn die Fahrzeuge nicht ans gleiche Ziel fahren würden. Als mein Pick-up am Ziel ankommt, muss ich nur eine Viertelstunde warten, bis auch der Minibus von Rosa Maria ankommt. Ulugqat, eine grössere Provinzstadt etwa 100 km vor Kashgar, ist die erste chinesische Stadt, mit der wir Bekanntschaft machen. Wir staunen, wie modern diese ist: Breite Strassen, grosse moderne Gebäude und viele Menschen, die flanieren, sei es zu Fuss oder auf Elektro-Rollern. Der Autopark besteht hauptsächlich aus modernen Fahrzeugen und ist vergleichbar mit dem unsrigen. Mit Hilfe eines Passanten suchen wir ein Hotel und werden beim zweiten Anlauf fündig. Das Zimmer ist zwar so klein, dass wir kaum unser Gepäck hineinkriegen, aber wenigstens hat es wieder einmal ein richtiges Bett. Dann gehen wir zusammen mit unserem Helfer essen und ob der Begeisterung über das riesige Angebot, „fressen“ wir uns durch die halbe Speisekarte. Was für ein Gelage, nach all den Wochen gastronomischer Askese. Zurück im Hotel erwartet uns ein fetter Polizist, der unsere Pässe sehen will. Was er sonst noch will, ist uns unklar. Wir verziehen uns in unser Zimmer und machen uns schlafklar, als es an die Türe klopft. Draussen stehen diesmal zwei Polizisten. Die weibliche Beamtin kann ein wenig Englisch und gibt uns zu verstehen, dass wir aus dem Hotel ausziehen müssten (in China dürfen Ausländer nur in Hotels mit spezieller Zulassung absteigen). Wir stellen uns taub. Auch als die Frau vom Hotel-Empfang uns den Zimmerpreis zurückzahlen will, fahren wir fort unsere Zähne zu putzen. Nach einer Weile des Kräftemessens geben die Polizisten auf, und die Beamtin verabschiedet sich mit der Aufforderung „sleep“.

Am nächsten Morgen satteln wir unsere Räder und machen uns auf Richtung Kashgar. An jeder Kreuzung beginnt das grosse Rätselraten, wo es weitergeht. Die Schilder sind nur in chinesischer – und als Konzession an die einheimische, uigurische Bevölkerung – in arabischer Schrift beschrieben. Rosa Maria hatte sich in weiser Voraussicht von einem englischsprechenden Einheimischen das Wort „Kashgar“ in chinesischer Schrift aufschreiben lassen, so dass wir wenigstens diese Angabe entziffern können. Zum Glück besteht das Wort nur aus vier Zeichen!

Der erste Teil der Strecke geht durch dünnbesiedeltes Gebiet, aber es scheint mir, dass an allen Ecken gebaut wird. Wo der Boden nicht landwirtschaftlich genutzt wird, ist er von Baumaschinen zerfurcht oder aufgetürmt.


…chinesische Landschaft vor Kashgar


…was unterscheidet sie von Appenzeller Kolleginnen?

Gegen Kashgar zu häufen sich die Dörfer und entlang der Hauptstrassen stehen in dichten Reihen die Verkaufsstände von Händlern, Restaurants und Autowerkstätten, belagert von kauflustigen Passanten und sonstigen Müssiggängern.

Das letzte Stück vor Kashgar legen wir auf der Autobahn zurück. Vor einer Zahlstelle hat es eine schmale Ausfahrt mit einer „Velofahrer-Tafel“. Wir trauen dem Angebot nicht und bleiben auf der Autobahn, auf deren Pannensttreifen wir uns recht geborgen fühlen. An der Schranke der Zahlstelle werden wir dann bestimmt zur Velo-Ausfahrt zurückgeschickt. Geknickt fügen wir uns in unser Schicksal, stellen dann nach 200 m Veloweg jedoch erleichtert fest, dass dieser wieder in die Autobahn mündet und nur zur Umfahrung der Zahlstelle dient.


…wir dürfen nicht bezahlen

Bei der Einfahrt zeigt sich Kashgar als weitgehend neu gebaute Stadt. Grosse, mehrstöckige Häuser haben die alten Lehmbauten verdrängt. Auf den breiten Strassen herrscht dichter Verkehr, mit sehr vielen elektrisch betriebenen Scootern. Lastwagen gibt es nur sehr wenige in der Stadt. Die riesigen Mengen velofahrender Chinesen, die noch mein verstaubtes Chinabild prägen, sind verschwunden. Wir gehören als nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer auch hier zu einer exotischen Minderheit, die wenig zuvorkommend behandelt wird. Vor allem die lautlosen Roller, die uns umschwirren und bedrängen, jagen uns etliche Schrecken ein.

Nach vielen Wochen in Homestays und im Zelt ziehen wir wieder einmal in ein ausgewachsenes Hotel ein. Ursprünglich vor mehr als hundertzwanzig Jahren als russisches Konsulat in Kashgar gebaut, wurde es später in ein Hotel umfunktioniert.


…an der Schwelle zu verblichenen Luxus

Die besten Zeiten hat es längst hinter sich, aber immer noch verfügt es über fliessendes, warmes Wasser. Kaum zu beschreiben die Wohltat, wieder einmal unter einer warmen Dusche zu stehen und sich langsam all die Schichten von Staub, Schweiss und Dreck wegspülen lassen. Die wunderbaren Erinnerungen an das Erlebte trägt das Wasser zum Glück nicht fort!

 

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