Freuden und Leiden der letzten Tage auf dem Pamir-Highway

In Murghab wohnen wir im gleichen Guesthouse wie Angela und Stef, die wir bereits von Khorog und Bulunkul kennen. Sie gehören zu jenem liebenswürdigen Schlag von Veloreisenden, mit denen der Gedankenaustausch leicht fällt und wir uns wohl fühlen. Angela ist Engländerin, eine grosse, sehr aparte und sportliche junge Frau. Zuletzt hat sie mit Stef in Wien gelebt und gearbeitet. Er ist in Frankreich geboren, seine Eltern stammen aus Polen. Es ist rührend, wie liebevoll Stef mit Angela umgeht. Er hat uns verraten, dass sie beide im nächsten Jahr heiraten werden. Als Angela in Uzbekistan krank gewesen und ohnmächtig umgefallen sei, habe er sich gefragt, was er ohne Angela wäre. Dann habe er ihr kurzerhand einen richtigen Antrag gemacht, den sie angenommen habe.

Wieder zuhause, werde ich an einem nebligen Novembertag die Fortsetzung ihrer Geschichte in ihrem Blog nachlesen, so wie ich es mit ein paar weiteren Reisebekanntschaften machen werde.

Ausgangs Murghab

Als wir in Murghab am Donnerstag, 11. August, abreisen, freuen wir uns über den starken Rückenwind, der uns fast Flügel gibt. Doch die Freude ist von kurzer Dauer. Nach ein-zwei Stunden dreht der Wind und behindert unsere Fahrt je länger je mehr. Im Laufe des Nachmittags wird er so stark, dass er mir fast den Atem nimmt. Oder ist es die Höhe, die ich doch bisher recht gut vertragen habe? Trotz meiner Unsicherheit über den Grund der Atemprobleme entschliesse ich mich, Diamox zu nehmen. Dies ist ein Medikament zur Behandlung oder Vorbeugung der Höhenkrankheit. Aber vielleicht ist es bei mir nicht in erster Linie die Höhe, sondern ich habe ähnliche Atemprobleme wie meine Mutter sie hatte. Immer wieder hatte sie Wasser auf der Lunge, was sie beim Atmen behinderte. Je länger dies unbehandelt blieb, umso mehr verlor sie ihre Lebensfreute und wurde richtiggehend melancholisch. Oft denke ich in diesen Tagen an sie. Jetzt kann ich mir viel besser vorstellen, wie bedrückend und bedrohlich es ist, wenn man nicht mehr genügend Luft zum Atmen bekommt. Vielleicht hätte ihr Diamox auch helfen können. Ich entscheide für mich, das Medikament während der nächsten Tage regelmässig zu nehmen, da es mir mindestens teilweise hilft.

Doch auch ohne Atemprobleme und ohne Gegenwind ist die Etappe bis zur kirgisischen Grenze ein harter Brocken. Der Ak Baital-Pass ist mit seinen 4655 m.ü.M. der höchste Pass, den wir auf dem Pamir-Highway zu überwinden haben.

Überraschendes Wiedersehen mit Bianca und Florian

Bianca und Florian, die wir vor ein paar Monaten in Samarkand trafen und die uns gerade hier mit ihrem selbst gebauten Offroader entgegenkommen, warnen uns vor dem schlechten Zustand der Passstrasse, machen uns aber gleichzeitig Mut. Wir kennen uns kaum, und doch ist das Wiedersehen sehr herzlich. Ich biete mit meinen verschwitzten staubigen Kleidern und den von Wind und Sonne aufgesprungenen Lippen wohl ein erbarmungswürdiges Bild. Doch das spielt jetzt keine Rolle. Wir umarmen und verabschieden uns und hoffen auf ein Wiedersehen, vielleicht in China.

Mir macht die schlechte Strasse dann wirklich zu schaffen. Es ist sehr anstrengend, das Velo im groben Schotter aufwärts zu schieben. Fahren ist auch für Reto schliesslich nicht mehr möglich.

Die letzten 500 m vor dem Pass sind wirklich so steil und schlimm, dass wir zu zweit ein Velo nach dem anderen schieben müssen. Ich brauche mehrere Verschnaufpausen. Oben angekommen, sollte das Leiden eigentlich ein Ende haben, doch auch die Abfahrt ist alles andere als lustig, und wir kommen nur langsam vorwärts.

Auch nach der Passhöhe dominieren Schotter und loses Geröll

Gut 25 km trennen uns vom nächsten Abschnitt, auf dem die Strasse wieder geteert sein müsste. Doch dieses Ziel erreichen wir heute nicht mehr. Wir sind beide müde und haben kalt. Wir halten Ausschau nach einem Bach mit sauberem Wasser und einem Platz fürs Zelt. Erfolglos. Da beschliessen wir, umzukehren und ein paar Kilometer bis zu einer der Jurten zurückzufahren, die wir auf etwa 4300 m.ü.M. passiert haben. Dort angekommen, heissen uns zwei Frauen in ihrer „Alphütte“ willkommen. Wir bekommen heissen Tee und Brot mit Yak-Butter und Zucker. Rasch erwärmen wir uns und kommen wieder zu Kräften.

Unser Zelt neben den «Jurten» (der Lastwagen wird zum Rücktransport der mobilen Hütten im Herbst verwendet)

Da wir gerne in „unseren eigenen vier Wänden“ schlafen, stellen wir neben der Jurte unser Zelt auf. Am anderen Morgen geniessen wir die vor unseren Augen frisch zentrifugierte Butter und heisse Yak-Milch.

Aus erwärmtem Rahm wird Butter

Mmmh, so fein schmeckt frische Yak-Butter! (Enkelin unserer Gastgeber, die z.Z. bei ihnen in den Ferien ist)

Gestärkt nehmen wir die restlichen knapp 50 km unter die Räder, die uns noch vor Karakul, dem höchstgelegenen See Zentralasiens, trennen. Wir haben vor, hier ein paar Tage Pause zu machen und einen Ausflug zum westlichen Seeufer zu unternehmen.

Ankunft in Karakul (rechts der chinesische Grenzzaun)

Karakul (oder Karakol oder Karaköl) ist ein Name, der uns noch öfter begegnen wird. Übersetzt heisst das „Schwarzer See“. Dieser See hier liegt auf 3914 m.ü.M. und ist vor ca. 10 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag entstanden. In Murgab haben wir einen jungen Geologen aus Japan kennengelernt, der uns aus wissenschaftlicher Sicht von diesem Ort erzählt hat. Er kommt diesen Sommer bereits zum dritten Mal zum Karakul, wo er einsame Feldforschung betreibt und Gesteinsproben sammelt. Drei Wochen lebt er jeweils im Zelt am See. So ein Studienobjekt könnte mir auch gefallen, meint Reto.

Unser Homestay

Wir habens etwas bequemer und wohnen im Dorf Karakul im Homestay von Saadat, einer recht eigenwilligen Frau mit einem sympathischen, pfiffigen Mann.

Sie ist eine wirklich gute Köchin, und er geht ihr bei der Betreuung der Gäste grosszügig zur Hand. Gute Voraussetzungen für einen angenehmen Aufenthalt. Doch am ersten Tag in Karakul fühle ich mich alles andere als wohl. Ich möchte am liebsten nur weg von hier, so schnell als möglich. Teils ist sicher die Anstrengung der letzten Tage dafür verantwortlich, teils die Höhe, die mir manchmal noch immer Atemprobleme verursacht. Dann macht das Dorf selber einen desolaten, erbarmungswürdigen Eindruck auf mich. Ich kann mir nicht vorstellen, hier mehr als nur eine Nacht zu verbringen. Die Menschen tun mir leid, die Sommer und Winter in dieser Höhe leben, oft einem heulenden Wind ausgesetzt und den brennenden Strahlen der Sonne sowie den grossen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht. Im Winter muss es noch viel bedrohlicher sein, hier zu leben. Ausserdem finde ich die ganze Siedlung hässlich und sehe nur Armut und Verlassenheit.

 

Sie haben mich wieder versöhnt mit Karakol

… und auch er

Karakol hat auch eine Moschee

Aber schon am nächsten Tag verändert sich mein Eindruck, und ich entdecke fröhliche Kinder, schalkhafte alte Männer, interessante Häuser und Strassenzüge und die unwahrscheinlich schöne Lage des grossen dunklen Sees, umrahmt von felsigen Hügelzügen und hohen Schneebergen.

Spaziergang am Karakol

Unterwegs zum Westufer

Ich geniesse den geplanten Ausflug zum Seeende. Mit wenig Gepäck radeln wir querfeldein weitab von Strassen, Verkehr und Menschen. Nach ein paar Stunden auf manchmal kaum noch sichtbaren Fahrspuren erblicken wir den westlichen Arm des Sees, der durch eine bergige Halbinsel abgetrennt ist. Dunkelblau liegt er da unter grossem blauem Himmel, der mit weissen Wolken übersät ist. Welch prachtvoller Anblick!

In dieser Nacht machen sich Probleme mit den Reissverschlüssen unseres Zeltes bemerkbar. Der puderfeine Staub setzt sich in den Gleitern fest, und die Verschlüsse schliessen nicht mehr richtig. Manche öffnen sich gleich wieder hinter dem Gleiter. Einer der zwei Eingänge ist nicht mehr benutzbar, da sich hier der Verschluss gar nicht mehr öffnen lässt. Mit viel Geduld und Glück gelingt es uns, alle kritischen Reissverschlüsse zu schliessen.

Mein Velo hat der Wind schon am Nachmittag umgeblasen

Die Nacht im Zelt ist kalt, und wir benötigen neben dem Schlafsack mehrere Schichten von Kleidern, damit wir nicht frieren. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn wir bei dieser Kälte das Zelt nicht richtig schliessen könnten, wenn sich dem Wind Angriffsflächen und Schwachstellen böten. Wir überstehen die Nacht trotz Kälte und Bedenken gut.

Sicher wiederhole ich mich, wenn ich vom unendlichen Sternenhimmel im Pamir schwärme. Es ist unbeschreiblich schön, so nahe am Himmel, den Sternen, der Milchstrasse zu sein – auch das eine Entschädigung für manche Entbehrung.

Da unten unser Zelt. Es hat Wind und Wetter getrotzt und uns vor Kälte geschützt.

Wir beschliessen, noch mindestens einen weiteren Tag in Karakul zu bleiben. Wir wollen das Zelt so gut als möglich vom Staub befreien und die nicht mehr funktionierenden Reissverschlüsse reparieren. Zu zweit trennen wir Nähte auf, wechseln Gleiter aus, heften die einzelnen Teile mit Sicherheitsnadeln zusammen und nähen sie in mühsamer Kleinarbeit („Niffelibüez“) wieder zusammen. Am Schluss funktioniert alles wieder, und wir sind froh, dass wir nicht mehr allzu viele kalte Nächte in diesen Höhen im Zelt verbringen werden. Kirgistan und China mit milderen Temperaturen erwarten uns.

Ein lebendes Marco Polo-Schaf haben wir leider nie gesehen, doch wurden wir immer wieder mit Geweihen von gewilderten Tieren konfrontiert, wie hier am Ufer des Karakul. Diese majestätischen Tiere sind vom Aussterben bedroht und seit mehreren Jahren geschützt, doch noch immer werden sie gejagt.

Am Morgen, als wir Karakul verlassen, sind die umliegenden Berge frisch verschneit. Ein schöner Anblick, doch er erinnert uns daran, dass im östlichen Pamir Herbst und Winter schon Ende August nahe sind. Heute schmilzt die Sonne den Zauber schnell weg. Wir fahren über die letzten zwei Pässe vor der Grenze zu Kirgistan, den Uy Bulak mit 4232 und den Kizil Art mit 4290 m.ü.M. Diese sind nicht mehr so anstrengend wie der vorherige, und wir kommen gut vorwärts. Auch wenn wir viel geschwitzt, gefroren, gekämpft und gelitten haben, so fällt uns der Abschied von Tadschikistan, vor allem vom Pamir, schwer. Werden wir wiederkommen….? Es gäbe noch so manches Seitental zu erkunden, andere Routen zu fahren, Berge und Pässe zu erklimmen. Ob wir in ein zwei Jahren nochmals diese Energie aufbringen können? Das Träumen davon kann uns niemand nehmen.

Willkommen Kirgistan!

Willkommen Asphalt!

Zwischen dem tadschikischen und kirgisischen Zoll stellen wir in einem breiten grünen Flusstal auf 3560 m.ü.M. das Zelt auf.

Unser erster Zeltplatz in Kirgistan

Die Überraschung ist gross, als ich auf der Wiese Enziane, Edelweiss und weitere Blumen entdecke. Zwar sind schon die meisten Blumen zu dieser Jahreszeit verblüht, doch auch so ist die Freude riesig, nach der kargen Landschaft des Pamirs so viel sattes Grün, so viele bunte Blüten zu sehen. Wie schön muss es erst im Frühsommer hier aussehen!

Edelweiss

Nachdem wir den krigisischen Einreisestempel erhalten haben, macht uns ein freundlicher Zollbeamter lächelnd Zeichen, dass wir weiterfahren können, ohne dass er auch nur einen Blick in unser Gepäck geworfen hätte. Wir sind erleichtert und radeln frohen Mutes hinunter nach Sary Tash.

Rechts unser Guesthouse in Sari Tash

Hier heisst unsere „Schlummermutter“ Eliza, auch sie eine gute Köchin. An der Tankstelle wechseln wir 50$ in kirgisische Som und erkunden die Lebensmittelgeschäfte im Dorf.

Das Hauptangebot in den Läden, die hier „Magasin“ heissen, besteht zum grössten Teil aus Alkoholika, Zigaretten und Süssigkeiten, doch zu unserer grossen Freude finden wir auch frische Früchte: Trauben, Äpfel und sogar Zwetschgen, mit denen ich ein süsses, mit Zimt gewürztes Kompott koche. Wir geniessen es am Abend zum Dessert und zusammen mit dem Milchreis, den Eliza zum Frühstück für ihre Gäste kocht.

Zurück nach Korogh auf dem Pamir-Highway wärens 544 km

Ein Kirgise, zu erkennen an seinem hohen Filzhut, holt Wasser

Wir bleiben ein paar Tage, machen einen Ausflug nach Sary Mogul (auf schwarz glänzender, frisch asphaltierter, breiter und schöner Strasse!), freuen uns über die im fruchtbaren Tal weidenden Yaks, Ziegen, Schafe und Kühe, geniessen den Ausblick auf Pik Lenin mit seinen über 7000 m und lassen uns von einer freundlichen Familie in einem kleinen Imbiss am Markt mit einem bunten Gemüsegericht und Spiegeleiern verwöhnen.

Begegnung in Sari Mogul

Pik Lenin

Die Rückfahrt nach Sary Tash ist das reinste Vergnügen, werden wir doch auf der spiegelglatten Strasse vom Rückenwind fast getragen.

Morgen gehts weiter in der gleichen Himmelsrichtung. Hoffentlich bleibt uns der gute Wind auf dem Weg zum Irkeshtam-Pass treu!

 

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