Der Pamir

Genaugenommen befinden wir uns schon seit dem Anstieg zum Khaburabot-Pass im Pamir. Dieser Pass brachte uns auch bereits in dessen höher gelegene Regionen. Der weiterer Weg ab Kalaikum nach Khorog führte uns dann nur noch durch das tiefer gelelegene Flusstal des Panj. In Khorog biegt auch der Pamir-Highway (M41) in einem scharfen Linksbogen nach Osten ab und führt in die Hochtäler des Pamir. Auf einer Strecke von etwa 150 km steigt die M41 von 2000 m bis zum Koitezek-Pass auf fast 4300 m an. Auf den nächsten 385 km bis zur kirgisischen Grenze liegt der tiefste Punkt auf 3620 m, der höchste bei 4655 m. Auf diesem Teil der M41 sind sieben Pässe über 4000 m zu überwinden und es gibt nur drei nennenswerte Dörfer mit bescheidenen Versorgungsmöglichkeiten. In unserer Fahrtrichtung folgt die asphaltierte Strasse jeweils einem Hochtal, das langsam entgegen der Strömungsrichtung des Flusses ansteigt. Dann gehts steil über einen Pass und man wechselt in das nächste Hochtal. Die Talabschnitte der Strasse sind mehrheitlich asphaltiert, die Pässe holprige Naturstrassen mit losen, sandigen Passagen. Das Hochland ist sehr niederschlagsarm, die Bäche und Flüsse von den benachbarten hohen und schneebedeckten Bergen führen im Sommer vielfach kein Wasser mehr. Der Boden weist kaum Vegetation auf und besteht, vor allem in den breiten Flusstälern, hauptsächlich aus feinem Sand. Wegen der starken Winde ist auch in der Luft viel feiner Staub enthalten. Zusammen mit der extrem niedrigen Luftfeuchte werden die Augen, die Nasen-Schleimhäute und die Lippen stark gereizt und ausgetrocknet. Auch viele Einheimische haben Augen- und Hautprobleme. Um sich vor Sonne und Wind zu schützen, tragen viele – Frauen wie auch Männer – zwei Kopftücher, das erste tragen sie tief in die Stirn gezogen, mit dem zweiten bedecken sie Hals, Mund und Nase und lassen nur noch einen schmalen Schlitz für die Augen offen.

Die „metaphysische“ Bedeutung des Pamir-Highway:
Die Faszination des Pamir-Highways besteht für mich nur teilweise in der Schöneit seiner Natur und seiner Nachbarschaft zu dem in meiner Erinnerung verklärten Afghanistan. Wahrscheinlich hab ich das Wort Pamir erstmals als Kind oder Jugendlicher wahrgenommen, als ich in einer Zeitschrift über den Untergang eines deutschen Schulungs-Segelschiffes namens „Pamir“ gelesen habe. Später verband ich den Begriff mit einer der Bergregionen dieser Welt, die auch aus politischen Gründen kaum zugänglich war. Heute sind die administrativen Hürden, in diese Region zu gelangen, bedeutend tiefer. Die Bereisung mit dem Fahrrad ist aber immer noch ein echtes Abenteuer und setzt einiges an Leidensbereitschaft und Verzicht voraus. Ich glaube jedoch, dass das Glück und die Befriedigung durch die Erfüllung eines Traums grösser ist, wenn zu dessen Verwirklichung ein namhaftes persönliches Opfers erbracht werden muss. Es ist wahrscheinlich schwierig vermittelbar, welches Hochgefühl sich nur schon bei der Überwindung eines einzelnen hohen Passes einstellt, wenn man nach stundenlangen Strapazen auf schlechtesten Strassen oben anlangt. Beim Pamir war schon unsere mehrwöchige Anreise von Tashkent nach Khorog eine grosse körperliche Herausforderung. Hinzu kamen am Anfang die Hitze, später die grosse Höhe und nächtliche Kälte sowie die zunehmend prekäreren hygienischen Bedingungen und der Verzicht auf praktisch jeden Komfort. Auch die einhergehenden Erkrankungen und sogar die Flöhe gehören zum Tribut, den man möglicherweise zu leisten hat.
Etwas weiteres kommt hinzu: In meinem aktuellen Lebensabschnitt wird das Korsett an Möglichkeiten mit zunehmendem Alter tendenziell immer enger. Dies ist teils körperlich bedingt, oft jedoch vor allem mental (Bequemlichkeit, Lethargie, Ängste, Vorurteile). Um den Freiraum zu nutzen, der sich mit meiner ersehnten Pensionierung eröffnet hat, möchte ich versuchen, wenigstens ab und zu den schmaler werdenden Pfad an Optionen zu verlassen und auszubrechen – auch wenn es einige Überwindung und Energie braucht. Dabei muss ich freimütig eingestehen, dass ohne Rosa Maria viele meiner Träume Träume bleiben würden. Den langen Weg, einen am Anfang fast utopischen Wunsch bis zur Verwirklichung zu verfolgen, ist mit ihr als Partnerin bedeutend leichter. Vor allem, weil viele unserer Wünsche in eine ähnliche Richtung gehen.


Meditieren im Pamir

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