Aus der Wüste in die Berge

Nach Shahreza steigt die Strasse kaum merkbar an, die am Velocomputer angezeigte Höhe nimmt langsam aber stetig zu. Im Dunst am Horizont zeichnen sich die ersten Berge ab, sie gehören zum Zagrosgebirge, welches von Nordwesten nach Südosten den ganzen westlichen Iran durchzieht. Ich bin nicht unglücklich, wieder in eine Gegend zu kommen, wo es auch ein wenig Grün gibt. Vom Fuss der Berge an wird die Strasse steiler und schlussendlich gelangen wir auf eine Hochebene, die über 2500 Meter liegt. Die Temperaturen sind jetzt angenehm, dafür bläst uns ein böiger Wind entgegen. Dieser Wind, der nach dem Mittag einsetzt, wird die nächsten Tage eine stetig wiederkehrende Begleitung sein. Parallel zu unserer Strasse verläuft eine Kette mit schneebedeckten Bergen. Aber die Hoffnung, dass hier Wasser im Überfluss zu finden sei, trügt uns. Auf unserer Karte ist zum Glück eine Tankstelle eingezeichnet, und dort sollte es kein Problem sein, Wasser zu finden. Als sie dann endlich auf der Gegenfahrbahn, die in etwa 200 m Abstand verläuft, auftaucht, fahren wir über einen Feldweg zu ihr rüber. Der Zugang zu den Zapfsäulen ist durch Harasse blockiert und so nehmen wir an, dass sie ausser Betrieb ist. Wir fahren das Gelände ab, aber es lässt sich kein Wasserhahn finden, der noch etwas liefern würde. Wir wollen schon weiter fahren, als sich in Innern eines Gebäudes etwas bewegt. Dann tritt ein alter Mann aus der Tür. Ich frage ihn in Farsi, ob er Wasser für uns hätte. Er deutet auf seine Ohren. Als ich meine Bitte mit lauterer Stimme wiederhole, fragt er uns, ob wir einen Tee möchten. Wir sagen zu und er bittet uns, in das Innere der Tankstelle zu kommen. Dort steht ein einfaches Holzgestell, das als Bett und Bank dient, am Boden ein Campinggaskocher und ein paar alte Petflaschen mit Wasser. Wir merken, dass der Mann zu Bewachung der Tankstelle dort lebt.
Er deutet auf die Bank und bittet uns, dort zu sitzen. Er setzt sich auf den Boden vor seinen Gaskocher. Er stellt eine Kanne darauf, füllt sie mit zittrigen Händen aus einer der Petflaschen mit Wasser und zündet das Gas an. Dann sucht er sich zwei Tassen zusammen und als das Wasser kocht, beginnt er umständlich, die beiden Tassen abzuwaschen. Er kramt aus einer Schublade eine Mischung von Weinbeeren und Kichererbsen, füllt sie in eine Schale und bittet uns zuzugreifen. Als der Tee fertig ist, füllt er die Tassen und offeriert sie auf einem Tablett. Dann bringt er ein Buch und bittet uns, auf einer leeren Seite unsere Namen aufzuschreiben. Wir machen ihm klar, dass wir unsere Namen nicht in arabischer Schrift schreiben können. Als Alternative zeigen wir ihm unsere iranischen Visa. Diesmal deutet er auf seine Augen und macht uns klar, dass er die kleine Schrift nicht lesen könne. Ich frage ihn nach seinem Alter und er antwortet: mehr als achtzig Jahre.
Nach der zweiten Tasse Tee deutet er auf seinen Bauch und hebt sein Hemd ein wenig an. Wir ahnen, dass etwas mit seinem Bauch nicht in Ordnung ist oder war. Dann beginnt er mit einer sehr klaren Stimme zu erzählen, begleitet von einer intensiven Mimik und Gestik. Wir verstehen nur ganz wenige Worte wie „Gott“, „Doktor“, „Kinder“, wissen jedoch, dass der alte Mann diese  Geschichte erzählen muss und vielleicht schon sehr lange auf einen Zuhörer wartet. Wir möchten auf  keinen Fall, dass er aufhört zu erzählen. Für ihn ist es möglicherweise eine der wenigen Gelegenheiten, aus seiner Einsamkeit zu entfliehen, und wir fühlen uns auserwählt, ihm zuhören zu dürfen. Auch wenn die meisten Worte seiner Geschichte uns fremd sind, haben wir am Ende das Gefühl, ihn verstanden zu haben. Nach dem herzlichen Abschied glauben wir auch, dass er sich verstanden gefühlt hat.
Für die Nacht finden wir einen Zeltplatz etwas abseits der Strasse. Der unbebaute Boden ist voller Stechpflanzen und so stellen wir unser Zelt mit schlechtem Gewissen auf einem bebauten Flecken, wo die Saat eben erst zu spriessen begonnen hat. Beim Einschlafen hören wir dann einen Traktor, der in unsere Richtung fährt. Er ruft etwas was ich nicht verstehe und ich frage ihn auf Schweizerdeutsch, was er wolle. Von seiner Antwort verstehe ich nur „Tourist“ und „Entschuldigung“ und dann fährt der Traktor wieder davon. Wahrscheinlich wurde der Bauer von einem heimkehrenden Hirten benachrichtigt und wollte schauen, wer sich auf seinem Acker niedergelassen hat.
Am nächsten Tag gelangen wir nach einer steilen Abfahrt von der Hochebene nach Semirom. Wir sind dort mit einem iranischen Velofahrer verabredet, den wir unterwegs getroffen haben. Da es kühl und windig ist und nach Regen riecht, quartieren wir uns in einem Gasthof ein, den uns unser Reisegefährte empfohlen hat. Dann besuchen wir gemeinsam die einzige Attraktion des Ortes, einen Wasserfall. Dieser stellt sich dann jedoch als eine bessere Müllhalde heraus, da die wenigen Bewohner am Oberlauf und die sporadischen Besucher ihren Abfall hineinschmeissen.
Am folgenden Morgen brechen wir frühzeitig auf. Nach einer flachen Strecke geht es wieder auf das Niveau der Hochebene hinauf, die wir am Vortag verlassen haben. Immer häufiger begegnen wir Nomaden, welche auf oder neben der Strasse ihr Vieh auf die höher gelegenen Weiden bringen. Auffällig sind die Frauen, die in farbenprächtiger Kleidung und in stolzer Haltung beim Treiben des Viehs mithelfen. Nach all den schwarz verhüllten Frauen, die sonst das Bild prägen, ist es sehr erfrischend, wieder mal in lebhafte Farben gekleidete Frauen zu sehen. Auch Rosa Maria gerät bei ihrem Anblick ganz aus dem Häuschen und würde ihnen wohl am liebsten um den Hals fallen.
Bei einem Picknick auf einem Felsen am Rande der Strasse fährt ein Auto verbei, hält an und setzt dann zurück bis es auf unserer Höhe ist. Ein Mann springt heraus und kommt zu uns gerannt. Er gestikuliert und macht mit seiner Hand Schneidbewegungen. Nachdem er ob unserem Unverständnis wieder abgefahren ist, glauben wir zu verstehen, dass er uns sagen wollte, dass wir bedroht seien. Wahrscheinlich ist es hier wie überall auf der Welt, dass von den fremden und unbekannten Gruppen (diesmal wären es die Nomaden) eine Bedrohung ausgeht. Wir lassen uns nicht all zu stark beeindrucken und fahren weiter.
Nach einer langen und rassigen Abfahrt gelangen wir in ein Tal, welches fast 1000 m tiefer liegt. Die Hitze wird wieder drückend. In einem Dorf an einem Verkehrsknotenpunkt machen wir eine kleine Rast. Auf dem Platz vor unserem „Restaurant“ hat es viele kleine Lieferwagen, beladen mit der Habe der Nomaden, welche unterwegs zu ihren Weiden sind. Der technische Fortschritt hat auch bei den Nomaden Spuren hinterlassen.
Wir fahren weiter und suchen uns einen Platz für’s Mittagessen. Immer noch sind Bäume Mangelware. Als wir in einem umzäunten Obstgarten eine Lücke im Hag sehen, fahren wir hin und beraten, ob es wohl zulässig wäre, hinein zu gehen und uns in den Schatten eines Baumes zu setzen.
Wir werden einer Entscheidung enthoben, da durch ein Tor eines benachbarten Hauses mehrere junge Männer treten und uns bedeuten, wir könnten bei ihnen im Hof des Hauses eine Rast machen.
Wir treten in den wunderbar kühlen Hof und können es uns auf einem hochbeinigen Bett bequem machen, während die Männer unsere schwerbeladenen Räder über die Stufen des Eingangstors zu ihrem Hof hieven.


Reseda und Mohn am Strassenrand


Wer kennt diese Blume…?


Die einsame Tankstelle


Teezeremonie


Unser Mann von der Tankstelle


Unterwegs in die Berge


Weibliche Vorhut des Nomadenzugs



Ouverture zur dreitaegigen Bakhtiyari Hochzeitsfeier in Yanaki

 

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