Besuch auf der Alp

Der Abschied von Naryn fällt uns nicht schwer – der Ort ist grau und trist. Da sich die Stadt mit 30000 Einwohnern praktisch entlang der Hauptstrasse erstreckt, kann man ihr jedoch nicht so schnell entfliehen. Erst nach fast 10 Kilometer Fahrt gelangt man auf’s unverbaute Land. Die ersten zwei Drittel des Weges zum Song Köl See führen uns flussabwärts durch das Naryntal nach Westen. Nach unseren Informationen sollte die Strasse asphaltiert sein und so freuen wir uns auf eine lockere Etappe. Mit zunehmender Dichte der Schlaglöcher und dem Aufkommen eines lästigen Gegenwindes sinkt auch unsere anfänglich gute Laune immer tiefer. Wahrscheinlich hat es auch mit einer generellen Reisemüdigkeit zu tun, dass wir widrige Reisebedingungen immer schlechter ertragen. In Ak Tal, etwa 90 km nach Naryn, kommt die Abzweigung zum Song Köl. Im Dorf können wir noch unseren Proviant aufstocken und so unser kommendes Nachtessen etwas anreichern. Ab Ak Tal erwartet uns für die nächsten 150 Kilometer eine schlechte Schotterstrasse, die uns über einen ersten Pass zum Song Köl und von dort über einen zweiten Pass zur asphaltierten Verbindungsstrasse Naryn-Kockkhor führen wird. Für heute ist unsere Leidensbereitschaft an ihre Grenze gelangt und so suchen wir uns kurz nach der Ortschaft einen halbwegs passablen Zeltplatz. Wie immer macht Rosa Maria mit den bescheidenen Mitteln und den wenigen Zutaten ein schmackhaftes Essen. Mit vollem Bauch kriechen wir bald darauf in unsere Schlafsäcke und schlummern dem kommenden Tag entgegen.
Da wir nicht beabsichtigen den Anstieg von 1500 Höhenmetern bis zum Song Köl in einer einzigen Etappe zurückzulegen, nehmen wir es mit dem Aufstehen am nächsten Morgen gemütlich. Erst gegen Mittag fahren wir bei freundlichem Wetter los.


…noch ist die Welt in Ordnung


…und schon passiert das Unglück

Schon kurz darauf ist unsere Fahrt jedoch an einem vorläufigen Ende – der Hinterreifen an Rosa Maria’s Rad ist erneut platt. Nach gründlichem Abtasten der Innenseite finde ich die Ursache der beiden Pannen. Ein feiner, kaum sichtbarer Draht, wie er in den Metallgeweben zur Verstärkung der Lastwagenpneus Verwendung findet, hat sich durch den Reifen gebohrt und den darunter liegenden Schlauch durchstochen. Mit einer Spitzzange gelingt es mir glücklicherweise, den Bösewicht zu fassen und aus dem Pneu zu entfernen. Wir sind auf unserer Reise pannenfrei über unzählige Scherben und andere spitze Gegenstände gefahren. Die bisherigen Reifenpannen – nur gerade vier in mehr als einem halben Jahr – wurden durch solche Drähtchen, ausser in einem Fall durch einen feinen Dorn, verursacht. Nach Auswechseln des defekten Schlauches können wir bald darauf unsere Fahrt fortsetzen.

Wir befinden uns jetzt am Fuss des Passes, der uns vom Song Köl See trennt. Da praktisch kein Verkehr herrscht, können wir auf der gesamten Strassenbreite den am wenigsten holprigen oder sandigen Fahrstreifen suchen. Ab und zu weichen wir auf den parallel zur Strasse verlaufenden Trampelpfad für die Pferde aus. Die aus dem Nichts auftauchenden und ins Nichts verschwindenden Reiter sind auch die einzigen Begegnungen, die wir auf den nächsten Kilometern haben werden. Mal braucht einer Feuer für seine Zigarette, mal versucht’s einer mit ein paar Brocken Französisch, die er in der Schule gelernt hat. Nach einer bescheidenen Tagesetappe von 25 Kilometern, aber fast der Hälfte des Höhenunterschiedes zum ersten Pass, stellen wir unser Zelt an einer idyllisch gelegenen, jedoch schwer zugänglichen Stelle an einem Bachufer auf.


…auf der Suche nach dem idyllischen Zeltplatz


…und hier das Resultat

Über uns sehen wir bereits die Serpentinen der Passstrasse, welche uns am nächsten Tag erwarten.
Die Nacht auf 2450 Meter Höhe wird kalt und nass. Mein Schlafsack kommt endgültig an seine Grenzen. Ich bin gezwungen zwei Jacken und weitere Kleiderstücke aus meinem Wintersortiment anzuziehen. Auch so eingepackt wird die Nacht kaum behaglich. Für Rosa Maria mit ihrem hartnäckigen Husten sind die Bedingungen nicht besser.
Die Weiterfahrt am kommenden Morgen lässt uns trotz der herrschenden Temperaturen die nächtliche Kälte schnell vergessen.


…schweisstreibende Serpentinen

Auf wenigen Kilometern gelangen wir auf 3200 Meter und werden dann nach einer kurzen Abfahrt durch einen heftigen Rückenwind förmlich zum Song Köl See geblasen. Der tiefblaue See ist von flachen Weiden umgeben, die ihrerseits von steilen Schneebergen begrenzt sind. Während der Sommermonate leben hier in den weitverstreuten Jurten Hirten und ihre auf den Weiden grasenden Schafe, Kühe und vor allem Pferde. Es bieten sich Szenen wie aus einem Bilderbuch.


…Song Köl


…Jurten am Song Köl


…weidende Pferde am Song Köl


…bald wird es Nacht am Song Köl

Ein Teil der Hirtenfamilien sind in Selbsthilfeorganisationen zusammengeschlossen und bieten ihre Jurten als Unterkunft für Touristen an. Bei einer dieser Familien kommen wir unter und werden auch von ihr verpflegt. Wir haben eine kleinere Jurte für uns alleine. Zwei weitere ältere Ehepaare logieren ebenfalls bei der Familie. Im Gegensatz zu uns sind sie mit jeweils einem Fahrzeug mit Fahrer unterwegs, ein Paar hat gar eine eigene, französisch sprechende Führerin. Beide Paare werden ihre begleitete Reise nach China fortsetzen. Für uns ist es sehr interessant, mit ihnen über die unterschiedlichen Arten des Reisens zu diskutieren. Umsomehr als es sich bei beiden Paaren um welterfahrene Leute handelt, die beide im Nahen Osten gelebt und gearbeitet haben und die nach unserer Einschätzung nicht zu den Luxustouristen gehören, die abgeschottet von ihrer Umgebung durch die Welt reisen.
In der Nacht bläst ein heftiger, bitterkalter Wind um die Jurte und klatscht lose Teile der äusseren Filzummantelung gegen die Wand. Wir liegen begraben unter einer Unzahl von dicken Decken und zusätzlich gewärmt durch einen mit Kuhdung beheizten Ofen im sicheren Inneren. Nichts hält uns vom wohlverdienten Schlaf ab.

Vor unserer Abfahrt am nächsten Morgen werden wir durch eines der besten und ausgiebigsten Frühstücke unser Reise verwöhnt. Dann versorgt uns die Reiseführerin des einen Paares noch mit reichlichem Reiseproviant aus ihrer eigenen Reserve, und von den Gastgebern erhalten wir eine Flasche mit köstlicher Marmelade gesüsstem Joghurt. So können wir wohlversorgt die Rückkehr in die Zivilisation antreten.
Nach der Umrundung des halben Sees geht es über den zweiten, noch höheren Pass. Die Strasse führt uns nochmal auf über 3400 Meter hinauf. Mit ein wenig Wehmut nehmen wir zur Kenntnis, dass es vielleicht das letzte Mal auf unserer Reise – und möglicherweise das letzte Mal in unserem Leben – sein wird, dass wir aus eigener Kraft so weit hinaufgefahren sind.


…Blick zurück auf den Song Köl


…war das das letzte Mal auf dieser Höhe?

Die Abfahrt führt uns durch eine wilde, herrliche Berglandschaft. Im unteren Teil des engen Tals treffen wir auf eine riesige Herde Yaks, unserer erklärten Lieblinge. Das Bedrohliche, das die langen, gebogenen Hörner diesen Tieren verleiht, wird sofort wieder durch ihren sanften Blick, das zottelige Fell und durch ihr scheues Verhalten zunichte gemacht. Kaum nähern wir uns mit unseren Räder, ergreifen zuerst die Jungen, dann bald auch die Alten die Flucht von der Strasse weg, hangaufwärts und hangrunter. Bald überwiegt jedoch die Neugierde, sie bleiben stehen und bestaunen uns mit grossen Augen.


…trotz deiner grossen Hörner haben wir keine Angst


…jung und alt sind gleichermassen neugierig

Wir gelangen in ein breiteres, liebliches Tal. In der Talsohle hat es wieder einzelne Bäume. Entlang dem schlängelnden Fluss weiden buntgescheckte Pferde. An den steilen Hängen ziehen gleich Fischschwärmen langsam Schafherden vorbei. Berittene Hirten treiben entwichene Tiere zurück zu ihrer Herde. Da bleibt uns nur noch, einen geeigneten Zeltplatz zu finden und die Ruhe und den Frieden zu geniessen.


…Idylle im Tal

Am nächsten Tag kommen wir dann endgültig wieder in die Zivilisation zurück. Die Fahrt ins Städtchen Kochkor gehört eher zum Pflichtteil unseres Reisealltags. Es geht wohl weiter talwärts, jedoch wiederum auf löchriger Strasse und mit ärgerlichem Gegenwind. In Kochkor steuern wir auf direktem Weg eine Privatunterkunft an, die uns von alten Reisebekannten empfohlen wurde. Wieder geniessen wir den Komfort einer warmen Dusche, weicher Betten und der Bewirtung mit feinem Essen durch die Gastgeber. Am Abend trifft noch Mat, ein junger englischer Velofahrer ein. Er war  ebenfalls am Song Köl, erlitt jedoch bei der Abfahrt einen Nabenbruch am Hinterrad. Er erhielt mit einem Auto eine Mitfahrgelegenheit nach Kochkor. Sein Fahrrad musste er aus Platzgründen einem Lastwagen mitgeben, der mit Jurten und Tieren beladen auf Alpabfahrt ist. Jetzt wartet er ziemlich nervös auf das Eintreffen seines Velos. Am späteren Abend erhält er dann einen Anruf, dass der Lastwagen ebenfalls eine Panne erlitten hat und er sich bis zum nächsten Tag gedulden muss. Er erzählt uns dann, dass er in Shanghai ein Jahr lang Englisch unterrichtet hat und dort auch für 250 Euro sein Fahrrad erstanden hat. Mit diesem will er jetzt über den Pamir-Highway nach England zurückradeln. Angesichts der Jahreszeit und seiner, nebst dem Rad auch sonst eher dürftigen Ausrüstung, ein für uns eher gewagtes und sicher sehr kaltes Unternehmen. Trotz unserer Bedenken schenken wir ihm zur teilweisen Absicherung seiner Weiterfahrt den seit Anfang unser Reise mitgeführten Reservepneu. Am nächsten Tag trifft dann sein heiss erwartetes Gefährt ein. Matt wird morgen mit einem Sammeltaxi nach Bishkek fahren und dort nach Ersatzteilen suchen. Wir werden unseren Altersbonus nutzen und noch einen Tag hier ausruhen und uns danach wieder auf den Weg machen.

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China Ade – Glück und Unglück auf dem Weg nach Kirgistan

Gut fängt unsere Autofahrt zum Torugart-Pass nicht an. Als wir uns wie vereinbart um halb 8 mit all unserem Gepäck und den Velos in der Lobby des Hotels einfinden, fehlt von Fahrzeug und Fahrer jede Spur. Vom jungen Reiseleiter, der uns auf der Fahrt begleiten wird, erfahren wir, dass der Fahrer ein wenig verspätet sei. Aus der ursprünglich angekündigten einen Viertelstunde werden drei, und bis wir endlich losfahren, vergeht mehr als eine Stunde. Wir befürchten schon, dass der teuer bezahlte Transport ein Fehlentscheid gewesen sein könnte. Doch weit gefehlt. Alles klappt ab jetzt wie am Schnürchen. Das Fahrzeug ist ideal und wir können die Velos zwischen die Sitzreihen des Minibusses stellen. Das Gepäck findet auf den nicht benutzten Sitzen Platz. Der Fahrer fährt ruhig und souverän. Er kennt die Strecke gut. Und unser Guide ist ein sehr angenehmer junger Uigure, der nicht nur ausgezeichnet englisch spricht, sondern sogar recht gut deutsch. Unterwegs kauft er für uns Früchte und Brot ein. Trotz des anfänglichen Ärgers wird es eine angenehme, gut organisierte Reise.

Eigentlich wären wir die Strecke ja viel lieber mit dem Velo gefahren. Doch da die chinesischen Behörden den ausländischen Touristen keine unbegleiteten Fahrten zum Torugart-Pass erlauben, hatten wir keine andere Wahl, als uns von einer Reiseagentur in Kashgar die Fahrt und die notwendigen Bewilligungen organisieren zu lassen. Ausserdem benötigen wir eine offizielle Bestätigung, dass uns an der Grenze ein kirgisisches Fahrzeug abholt und bis mindestens zum nächsten Checkpoint in Kirgistan mitnimmt. Erst dann dürfen wir nach den aktuell gültigen Bestimmungen unsere Reise mit dem Velo fortsetzen.

Die ersten ca. 60 km kennen wir bereits von unserer Fahrt vom Irkeshtam-Pass nach Kashgar. Schon damals sind mir die interessanten Siedlungen aufgefallen. Jetzt erfahre ich von unserem Begleiter, dass es sich um uigurische Dörfer handelt. Entlang der Strasse stehen zwei-drei Reihen dicht an dicht gepflanzter Pappeln, dann folgt meist ein Bewässerungskanal, und dann, halb versteckt, die niedrigen Lehmbauten mit grossem, oft geschmücktem Eingangstor. Manchmal sind diese Portale auch nur türkis oder hellblau und rosafarben gestrichen. Mir gefallen diese verblassten Farben neben dem Ocker des Lehms. Von aussen sieht ein solcher Bau wie ein etwa 10 m breiter Lehmblock aus. Steht aber mal ein Tor offen und ermöglicht es, im Vorüberfahren einen Blick ins Innere zu werfen, sieht man bunte Veranden mit geschmückten Säulen, wie wir sie manchmal in den Sommerhallen der Moscheen bewundern konnten. In diesen Innenhöfen leben Bauern mit ihren Tieren, und es wachsen Bäume und andere Pflanzen. Gerne hätte ich einmal ein solches Haus besucht.

Nach dem chinesischen Zollposten, der 110 km vor der Landesgrenze zu Kirgistan liegt, biegen wir nach Norden ab.

Kirgisensiedlung

Die Landschaft ist sehr viel karger und die spärlichen Dörfer und Siedlungen, die wir jetzt antreffen, sind von chinesischen Kirgisen bewohnt. Schon von weitem erkennt man die Männer dieser Volksgruppe an ihren hohen, weissen Filzhüten mit schwarzen Ornamenten. Im Gegensatz zu ihnen tragen die Uiguren kleine viereckig geformte Kappen in dunklen Farben, die oft reich bestickt sind. (In Kashgar ist mir aufgefallen, dass viele Händler ihr Geld darunter aufbewahren. Bei den Frauen kann man manchmal noch sehen, dass sie die Banknoten im Strumpf unter ihrem langen Rock tragen.)

Die Strasse verläuft in einem flachen breiten Tal.

Interessante Felsformationen in Rost- und Rosatönen säumen das Hochtal vor dem Torugart-Pass.

Je näher wir dem Torugart-Pass kommen, umso mehr bereue ich, dass wir nicht mit dem Velo fahren dürfen. Die ganze Strecke ist asphaltiert, die Steigung fast nicht spürbar. Die Landschaft ist so schön, dass ich sie langsam erfahren und geniessen möchte anstatt mit 80 km/h vorbeizubrausen.

Auf dem 3750m hohen Torugart-Pass, der gleichzeitig die Grenze bildet, verlassen wir unsere Begleiter aus Kashgar und schieben unsere Velos durch das reich verzierte Tor der Chinesen. Dahinter werden wir schon vom kirgisischen Fahrer erwartet, und wir laden Velos und Gepäck erneut in einen Minibus.

Blick zurück nach Süden auf den Torugart-Pass

Blick nach Norden auf die Fortsetzung auf kirgisischer Seite

Auf den nächsten knapp 100 km erwartet uns eine rechte Rumpel- und Holperfahrt. Ich bin jetzt sehr froh, dass wir nicht selber fahren müssen. Und so lassen wir uns bis zur geschichtsträchtigen Karawanserei Tash Rabat chauffieren.

Neben der Karawanserei stehen einige Jurten, in denen ein paar Hirtenfamilien den Sommer verbringen. Im Tal und auf den Bergwiesen weiden Yaks, Pferde, Ziegen, Schafe und ein einzelnes Kamel. Im Herbst werden die Jurten wieder abgebrochen, und die Familien ziehen mit ihren Tieren ins Tal. Das Wetter ist so schön und warm und es gefällt uns hier so gut, dass wir nicht schon morgen weiterfahren wollen. Wir sind überwältigt von der Schönheit des Tals und von der Ruhe und vom Frieden, die von dieser Jurtensiedlung ausgehen. Hier stellen wir unser Zelt auf, und wir schätzen es, dass wir von einer der Familien Tee, Abendessen und Frühstück bekommen.

Hoch oben in den Bergen weiden die Yaks

In unserer Fantasie stellen wir uns vor, wie seit dem 15. Jahrhundert Reisende auf der Seidenstrasse in dieser Karawanserei einkehrten, sich und ihre Tiere verpflegten und Schutz vor bösen Räubern fanden. Längst ist das Reisen bedeutend einfacher und schneller geworden. Die frühere Route der Karawanen über den Pass wird heute sinnigerweise den Touristen als begleitetes Trekking mit Pferden angeboten.

Würde es mich wohl über all die Pässe nach China und durch die Taklamakan-Wüste tragen…?

Da wir uns auf über 3000 m.ü.M. befinden, wird es empfindlich kühl, sobald die Sonne hinter den Bergen oder einer Wolke verschwindet. Am ersten Tag sitzen wir noch kurzärmlig vor der Jurte und trinken Tee. In der Nacht wird es sehr kalt. Beim Frühstück am nächsten Tag erkundigt sich unsere Gastgeberin, ob wir nicht in einer ihrer Jurten schlafen möchten. Doch wir befürchten, dass es dort noch kälter als in unserem Zelt ist, und lehnen dankend ab. Die angebotenen Decken für die nächste Nacht nehmen wir jedoch gerne an. Diese lasten dann zwar schwer auf uns, geben aber wirklich warm.

So idyllisch stand unser Zelt schon lang nicht mehr

Abendstimmung

Am nächsten Morgen erfahren wir, dass gemäss Wetterprognose aus dem Radio für heute Schnee angesagt sei. Das ist für uns endgültig das Zeichen zum Aufbruch. Da mich noch immer Husten und Schnupfen plagen und wir seit einiger Zeit zunehmende Probleme mit dem Zelt haben, ziehen wir es vor, wieder in tiefere und hoffentlich wärmere Regionen zu fahren.

Wir verlassen das Tash Rabat-Tal mit seiner wilden Schönheit

Glücklich und zufrieden, dass ich wieder selber fahren darf (… doch das könnte sich bald ändern!)

Auf unserer zweitägigen Reise nach Naryn haben wir viel Glück mit dem Wetter. Obwohl sich mehrmals Regen ankündigt, können wir darauf verzichten, unsere Regenponchos und -hosen anzuziehen, Wir lassen Donner und schwarze Gewitterwolken hinter uns und fahren auf schlechter Strasse talwärts. Diese wird bald durch ein neu asphaltiertes Stück unterbrochen. Wir hoffen schon, dass dies der Normalzustand bis Naryn sein wird. Doch weit gefehlt. Nach 30 km ist die glatte Fahrt zu Ende und die Strasse wird immer schlimmer. Der frühere Belag wurde durch losen, noch nicht verfestigten Schotter überdeckt. Ich komme fast nicht mehr vorwärts, jede Pedalumdrehung ist mühsam und kostet viel Kraft. So macht mir das Velofahren wirklich keine Freude. Auf einer abgemähten Wiese, versteckt hinter Büschen, stellen wir das Zelt auf. Weil einer der Reissverschlüsse am Innenzelt defekt ist, können wir nur noch einen der seitlichen Eingänge benutzen. In der Nacht regnet es ausgiebig. Am Morgen stellen wir fest, dass mein Hinterrad platt ist. Als ob das noch nicht genug wäre, haben wir auch Probleme mit einer der aufblasbaren Schlafmatten. Beim Luftablassen verstopfen die Ventile durch austretende Daunen. Nur mit Mühe gelingt es, die Federchen herauszuzupfen und portionenweise die Luft aus der Matte zu pressen. Wie hätten wir die Matte in aufgeblasenem Zustand verpacken und transportieren können…?

Der Regen hat inzwischen aufgehört, und Reto kann den undichten Schlauch auswechseln, ohne nass zu werden. Eigentlich können wir ja von Glück reden, dass das erst das dritte Mal ist, dass wir auf unserer Reise einen platten Reifen haben.

Das Mühsamste kommt erst noch, nämlich das Aufpumpen der Reifen.

Zurück auf der Strasse stellen wir fest, dass sich der Zustand der Strasse weiter verschlimmert hat. Der anhaltende Regen hat den provisorischen Belag zusätzlich aufgeweicht, und es ist noch anstrengender vorwärtszukommen. Erschwerend kommt dazu, dass die Strasse langsam steiler wird, da vor uns ein Pass liegt. Dieser ist auf der Karte mit 2400 m.ü.M. eingetragen, aber auch nach Erreichen von 2600 m.ü.M. steigt die Strasse weiter an. Und als wir glauben, endlich die Passhöhe erreicht zu haben, geht es nach einer kurzen Talfahrt erneut bergauf. Ich bin dem Verzweifeln nahe. Reto hilft mir beim Schieben. Da hält – wie vom Himmel geschickt – ein alter, kleiner Touristenbus, gelb wie ein Postauto. Ein freundlicher junger Mann steigt aus und fragt, ob wir Probleme hätten. Er könne uns mitnehmen, sein Bus sei leer. Die Strasse sei noch für viele Kilometer in diesem miserablen Zustand, und es folge ein weiterer Anstieg. Wir sind überglücklich. Der Mann hilft uns geschickt beim Entfernen der Saccochen und beim Aufladen der (ziemlich verdreckten) Velos. Erschöpft lasse ich mich in einen der ausgeleierten Sitze fallen und geniesse es, dass es so einfühlsame und hilfsbereite Menschen wie diesen kirgisischen Chauffeur gibt. In Naryn fährt er uns ins Zentrum und hilft uns beim Ausladen. Wir müssen ihn fast nötigen, die 500 Som anzunehmen, die wir ihm geben wollen. Er hätte uns ohne jegliche Bezahlung mitgenommen.

Die kirgisischen Friedhöfe sehen aus wie orientalische Märchenstädte

Wir finden rasch das Büro der CBT (Community Based Tourism), welches Unterkünfte bei Privatpersonen organisiert. Wir quartieren uns bei einer Frau ein, die schöne, gut eingerichtete Zimmer vermietet und auch für uns kocht. Nach der Fahrt auf der nassen Strasse freuen wir uns über das saubere Badezimmer und geniessen wieder einmal die Wohltat einer ausgiebigen warmen Dusche und grossen weichen Frottétüchern.

Morgen werden wir in Naryn Geld wechseln und uns über die Weiterfahrt zum Bergsee von Song Köl erkundigen, der unser nächstes Ziel ist. Ausserdem wollen wir wieder einmal Mails lesen und schreiben und im Internet aktuelle Wetterprognosen dieser Gegend suchen. Wir möchten nicht von einem verfrühten Wintereinbruch überrascht werden, wenn wir wieder in die Höhe fahren.

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