China Ade – Glück und Unglück auf dem Weg nach Kirgistan

Gut fängt unsere Autofahrt zum Torugart-Pass nicht an. Als wir uns wie vereinbart um halb 8 mit all unserem Gepäck und den Velos in der Lobby des Hotels einfinden, fehlt von Fahrzeug und Fahrer jede Spur. Vom jungen Reiseleiter, der uns auf der Fahrt begleiten wird, erfahren wir, dass der Fahrer ein wenig verspätet sei. Aus der ursprünglich angekündigten einen Viertelstunde werden drei, und bis wir endlich losfahren, vergeht mehr als eine Stunde. Wir befürchten schon, dass der teuer bezahlte Transport ein Fehlentscheid gewesen sein könnte. Doch weit gefehlt. Alles klappt ab jetzt wie am Schnürchen. Das Fahrzeug ist ideal und wir können die Velos zwischen die Sitzreihen des Minibusses stellen. Das Gepäck findet auf den nicht benutzten Sitzen Platz. Der Fahrer fährt ruhig und souverän. Er kennt die Strecke gut. Und unser Guide ist ein sehr angenehmer junger Uigure, der nicht nur ausgezeichnet englisch spricht, sondern sogar recht gut deutsch. Unterwegs kauft er für uns Früchte und Brot ein. Trotz des anfänglichen Ärgers wird es eine angenehme, gut organisierte Reise.

Eigentlich wären wir die Strecke ja viel lieber mit dem Velo gefahren. Doch da die chinesischen Behörden den ausländischen Touristen keine unbegleiteten Fahrten zum Torugart-Pass erlauben, hatten wir keine andere Wahl, als uns von einer Reiseagentur in Kashgar die Fahrt und die notwendigen Bewilligungen organisieren zu lassen. Ausserdem benötigen wir eine offizielle Bestätigung, dass uns an der Grenze ein kirgisisches Fahrzeug abholt und bis mindestens zum nächsten Checkpoint in Kirgistan mitnimmt. Erst dann dürfen wir nach den aktuell gültigen Bestimmungen unsere Reise mit dem Velo fortsetzen.

Die ersten ca. 60 km kennen wir bereits von unserer Fahrt vom Irkeshtam-Pass nach Kashgar. Schon damals sind mir die interessanten Siedlungen aufgefallen. Jetzt erfahre ich von unserem Begleiter, dass es sich um uigurische Dörfer handelt. Entlang der Strasse stehen zwei-drei Reihen dicht an dicht gepflanzter Pappeln, dann folgt meist ein Bewässerungskanal, und dann, halb versteckt, die niedrigen Lehmbauten mit grossem, oft geschmücktem Eingangstor. Manchmal sind diese Portale auch nur türkis oder hellblau und rosafarben gestrichen. Mir gefallen diese verblassten Farben neben dem Ocker des Lehms. Von aussen sieht ein solcher Bau wie ein etwa 10 m breiter Lehmblock aus. Steht aber mal ein Tor offen und ermöglicht es, im Vorüberfahren einen Blick ins Innere zu werfen, sieht man bunte Veranden mit geschmückten Säulen, wie wir sie manchmal in den Sommerhallen der Moscheen bewundern konnten. In diesen Innenhöfen leben Bauern mit ihren Tieren, und es wachsen Bäume und andere Pflanzen. Gerne hätte ich einmal ein solches Haus besucht.

Nach dem chinesischen Zollposten, der 110 km vor der Landesgrenze zu Kirgistan liegt, biegen wir nach Norden ab.

Kirgisensiedlung

Die Landschaft ist sehr viel karger und die spärlichen Dörfer und Siedlungen, die wir jetzt antreffen, sind von chinesischen Kirgisen bewohnt. Schon von weitem erkennt man die Männer dieser Volksgruppe an ihren hohen, weissen Filzhüten mit schwarzen Ornamenten. Im Gegensatz zu ihnen tragen die Uiguren kleine viereckig geformte Kappen in dunklen Farben, die oft reich bestickt sind. (In Kashgar ist mir aufgefallen, dass viele Händler ihr Geld darunter aufbewahren. Bei den Frauen kann man manchmal noch sehen, dass sie die Banknoten im Strumpf unter ihrem langen Rock tragen.)

Die Strasse verläuft in einem flachen breiten Tal.

Interessante Felsformationen in Rost- und Rosatönen säumen das Hochtal vor dem Torugart-Pass.

Je näher wir dem Torugart-Pass kommen, umso mehr bereue ich, dass wir nicht mit dem Velo fahren dürfen. Die ganze Strecke ist asphaltiert, die Steigung fast nicht spürbar. Die Landschaft ist so schön, dass ich sie langsam erfahren und geniessen möchte anstatt mit 80 km/h vorbeizubrausen.

Auf dem 3750m hohen Torugart-Pass, der gleichzeitig die Grenze bildet, verlassen wir unsere Begleiter aus Kashgar und schieben unsere Velos durch das reich verzierte Tor der Chinesen. Dahinter werden wir schon vom kirgisischen Fahrer erwartet, und wir laden Velos und Gepäck erneut in einen Minibus.

Blick zurück nach Süden auf den Torugart-Pass

Blick nach Norden auf die Fortsetzung auf kirgisischer Seite

Auf den nächsten knapp 100 km erwartet uns eine rechte Rumpel- und Holperfahrt. Ich bin jetzt sehr froh, dass wir nicht selber fahren müssen. Und so lassen wir uns bis zur geschichtsträchtigen Karawanserei Tash Rabat chauffieren.

Neben der Karawanserei stehen einige Jurten, in denen ein paar Hirtenfamilien den Sommer verbringen. Im Tal und auf den Bergwiesen weiden Yaks, Pferde, Ziegen, Schafe und ein einzelnes Kamel. Im Herbst werden die Jurten wieder abgebrochen, und die Familien ziehen mit ihren Tieren ins Tal. Das Wetter ist so schön und warm und es gefällt uns hier so gut, dass wir nicht schon morgen weiterfahren wollen. Wir sind überwältigt von der Schönheit des Tals und von der Ruhe und vom Frieden, die von dieser Jurtensiedlung ausgehen. Hier stellen wir unser Zelt auf, und wir schätzen es, dass wir von einer der Familien Tee, Abendessen und Frühstück bekommen.

Hoch oben in den Bergen weiden die Yaks

In unserer Fantasie stellen wir uns vor, wie seit dem 15. Jahrhundert Reisende auf der Seidenstrasse in dieser Karawanserei einkehrten, sich und ihre Tiere verpflegten und Schutz vor bösen Räubern fanden. Längst ist das Reisen bedeutend einfacher und schneller geworden. Die frühere Route der Karawanen über den Pass wird heute sinnigerweise den Touristen als begleitetes Trekking mit Pferden angeboten.

Würde es mich wohl über all die Pässe nach China und durch die Taklamakan-Wüste tragen…?

Da wir uns auf über 3000 m.ü.M. befinden, wird es empfindlich kühl, sobald die Sonne hinter den Bergen oder einer Wolke verschwindet. Am ersten Tag sitzen wir noch kurzärmlig vor der Jurte und trinken Tee. In der Nacht wird es sehr kalt. Beim Frühstück am nächsten Tag erkundigt sich unsere Gastgeberin, ob wir nicht in einer ihrer Jurten schlafen möchten. Doch wir befürchten, dass es dort noch kälter als in unserem Zelt ist, und lehnen dankend ab. Die angebotenen Decken für die nächste Nacht nehmen wir jedoch gerne an. Diese lasten dann zwar schwer auf uns, geben aber wirklich warm.

So idyllisch stand unser Zelt schon lang nicht mehr

Abendstimmung

Am nächsten Morgen erfahren wir, dass gemäss Wetterprognose aus dem Radio für heute Schnee angesagt sei. Das ist für uns endgültig das Zeichen zum Aufbruch. Da mich noch immer Husten und Schnupfen plagen und wir seit einiger Zeit zunehmende Probleme mit dem Zelt haben, ziehen wir es vor, wieder in tiefere und hoffentlich wärmere Regionen zu fahren.

Wir verlassen das Tash Rabat-Tal mit seiner wilden Schönheit

Glücklich und zufrieden, dass ich wieder selber fahren darf (… doch das könnte sich bald ändern!)

Auf unserer zweitägigen Reise nach Naryn haben wir viel Glück mit dem Wetter. Obwohl sich mehrmals Regen ankündigt, können wir darauf verzichten, unsere Regenponchos und -hosen anzuziehen, Wir lassen Donner und schwarze Gewitterwolken hinter uns und fahren auf schlechter Strasse talwärts. Diese wird bald durch ein neu asphaltiertes Stück unterbrochen. Wir hoffen schon, dass dies der Normalzustand bis Naryn sein wird. Doch weit gefehlt. Nach 30 km ist die glatte Fahrt zu Ende und die Strasse wird immer schlimmer. Der frühere Belag wurde durch losen, noch nicht verfestigten Schotter überdeckt. Ich komme fast nicht mehr vorwärts, jede Pedalumdrehung ist mühsam und kostet viel Kraft. So macht mir das Velofahren wirklich keine Freude. Auf einer abgemähten Wiese, versteckt hinter Büschen, stellen wir das Zelt auf. Weil einer der Reissverschlüsse am Innenzelt defekt ist, können wir nur noch einen der seitlichen Eingänge benutzen. In der Nacht regnet es ausgiebig. Am Morgen stellen wir fest, dass mein Hinterrad platt ist. Als ob das noch nicht genug wäre, haben wir auch Probleme mit einer der aufblasbaren Schlafmatten. Beim Luftablassen verstopfen die Ventile durch austretende Daunen. Nur mit Mühe gelingt es, die Federchen herauszuzupfen und portionenweise die Luft aus der Matte zu pressen. Wie hätten wir die Matte in aufgeblasenem Zustand verpacken und transportieren können…?

Der Regen hat inzwischen aufgehört, und Reto kann den undichten Schlauch auswechseln, ohne nass zu werden. Eigentlich können wir ja von Glück reden, dass das erst das dritte Mal ist, dass wir auf unserer Reise einen platten Reifen haben.

Das Mühsamste kommt erst noch, nämlich das Aufpumpen der Reifen.

Zurück auf der Strasse stellen wir fest, dass sich der Zustand der Strasse weiter verschlimmert hat. Der anhaltende Regen hat den provisorischen Belag zusätzlich aufgeweicht, und es ist noch anstrengender vorwärtszukommen. Erschwerend kommt dazu, dass die Strasse langsam steiler wird, da vor uns ein Pass liegt. Dieser ist auf der Karte mit 2400 m.ü.M. eingetragen, aber auch nach Erreichen von 2600 m.ü.M. steigt die Strasse weiter an. Und als wir glauben, endlich die Passhöhe erreicht zu haben, geht es nach einer kurzen Talfahrt erneut bergauf. Ich bin dem Verzweifeln nahe. Reto hilft mir beim Schieben. Da hält – wie vom Himmel geschickt – ein alter, kleiner Touristenbus, gelb wie ein Postauto. Ein freundlicher junger Mann steigt aus und fragt, ob wir Probleme hätten. Er könne uns mitnehmen, sein Bus sei leer. Die Strasse sei noch für viele Kilometer in diesem miserablen Zustand, und es folge ein weiterer Anstieg. Wir sind überglücklich. Der Mann hilft uns geschickt beim Entfernen der Saccochen und beim Aufladen der (ziemlich verdreckten) Velos. Erschöpft lasse ich mich in einen der ausgeleierten Sitze fallen und geniesse es, dass es so einfühlsame und hilfsbereite Menschen wie diesen kirgisischen Chauffeur gibt. In Naryn fährt er uns ins Zentrum und hilft uns beim Ausladen. Wir müssen ihn fast nötigen, die 500 Som anzunehmen, die wir ihm geben wollen. Er hätte uns ohne jegliche Bezahlung mitgenommen.

Die kirgisischen Friedhöfe sehen aus wie orientalische Märchenstädte

Wir finden rasch das Büro der CBT (Community Based Tourism), welches Unterkünfte bei Privatpersonen organisiert. Wir quartieren uns bei einer Frau ein, die schöne, gut eingerichtete Zimmer vermietet und auch für uns kocht. Nach der Fahrt auf der nassen Strasse freuen wir uns über das saubere Badezimmer und geniessen wieder einmal die Wohltat einer ausgiebigen warmen Dusche und grossen weichen Frottétüchern.

Morgen werden wir in Naryn Geld wechseln und uns über die Weiterfahrt zum Bergsee von Song Köl erkundigen, der unser nächstes Ziel ist. Ausserdem wollen wir wieder einmal Mails lesen und schreiben und im Internet aktuelle Wetterprognosen dieser Gegend suchen. Wir möchten nicht von einem verfrühten Wintereinbruch überrascht werden, wenn wir wieder in die Höhe fahren.

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