Kashgar liegt im nordwestlichsten Teil Chinas und gehört zu Xinjiang, der grössten Provinz Chinas. Im Zentrum liegt die riesige Taklamakan-Wüste, die von einem Ring von mit Pappeln bestandenen Oasen umgeben ist. Kashgar war eine wichtige Drehschseibe an der Seidenstrasse mit wöchentlichen Basaren. Diese Vieh- und Warenmärkte finden auch heute noch statt.
Retos Lieblinge auf dem Kashgarer Viehmarkt
In Kashgar selber ist es der Sonntagsmarkt mit einem riesigen Warenangebot. Am Vormittag wird zugleich vor der Stadt ein Viehmarkt durchgeführt. Jeder grössere Ort in der Umgebung hat seinen Wochentag und seine Spezialitäten. So z.B. der Montagsmarkt in Opal, wo die Hauptattraktion der Kamelmarkt ist, und der Samstagsmarkt im Wüstenstädtchen Yopurga mit seinem Eselsmarkt.
Vom Abbruch bedrohtes Uiguren-Quartier
Ursprünglich bildeten die Uiguren, die zu den zentralasiatischen Völkern gehören und Muslime sind, den weitaus grössten Anteil an der Bevölkerung Kashgars und der ganzen Provinz, doch heute sind die zugewanderten Han-Chinesen in der Mehrheit. Diese bewohnen mehrheitlich die neueren Stadtteile und prägen das Bild des modernen, fortschrittlichen Kashgar.
Die meisten uigurischen Frauen tragen ein Kopftuch, manche ein gesticktes Käppchen, in der gleichen Form, wie es die Männer tragen
Auffällig sind die braunen Kopftücher, die ich bisher nur in Kashgar gesehen habe. Die Frauen lassen sie einfach über den Kopf fallen, schlagen sie manchmal aber zurück und lassen das Gesicht frei.
Die Regierung ist bemüht, den uigurischen Charakter der Stadt zumindest teilweise zu bewahren oder zu rekonstruieren, ist doch dieser – neben den landschaftlichen Schönheiten und der Seidenstrassen-Vergangenheit – die Hauptattraktion für die Touristen.
In den Wohnvierteln der Uiguren mit ihren alten, zweistöckigen Lehmbauten herrscht zur Zeit eine äussserst rege Bautätigkeit.
Wenn man durch die Altstadt geht, fällt als Erstes auf, wie überall Häuser und ganze Quartiere abgerissen sind.
Grosse Lücken klaffen zwischen intakten Häuserzeilen. Diese bestehen nur noch zum Teil aus den Originalbauten. Viele wurden in letzter Zeit abgerissen. An ihrer Stelle stehen Neubauten mit nachempfundenen, uigurischen Elementen und Ornamenten.
Die Neubauten haben längst nicht mehr den Charme der alten Häuser.
Trotz Sandhaufen, Betonmischern, Holzstapeln herrscht emsiges Leben auf den Strassen. Handwerker arbeiten im Freien oder in der offenen Werkstatt, Kleinstimbisse stehen neben Bäckereien und Verkaufsständen mit Früchten, Fleisch, Werkzeug, Stoffen, etc.
Das Leben geht weiter…
Viele Menschen sind auf der Strasse, kaufen ein, diskutieren, kommen aus einer der vielen kleinen Moscheen, lassen sich mit einem der Kleintaxis durchs Quartier fahren. Diese bestehen vorne aus einem kleinen Motorrad oder Elektroroller und haben hinten eine mit Teppichen ausgelegte Brücke mit 2 Bänken für 6 Passagiere.
Es ist rührend, wie noch Bäume, Büsche und einzelne Pflanzen an den Strassenrändern stehen. Sie sind voll Staub. Die Reben und Feigenbäume, die in den Innenhöfen wuchsen, wurden wohl die meisten zusammen mit den Lehmbauten zerstört und mit dem Bauschutt abtransportiert. Es wird lange dauern, bis neu gepflanzte Bäume wieder Schatten spenden und Früchte tragen.
Kashgar ist auch eine moderne Grossstadt. Velos sieht man fast keine mehr.
Velowerkstatt
Auffallend ist der überwältigende Anteil der Elektroroller am Verkehr. Sie bewegen sich fast geräuschlos auf den Strassen, doch oft in der verkehrten Fahrtrichtung oder so nahe an den Fussgängern oder Velos, dass man berfürchten muss, von ihnen mitgerissen zu werden. Auch ich wurde auf einem Fussgängerstreifen von einem falsch fahrenden Roller angefahren. Ich stürzte, kam aber mit dem Schrecken davon. Umso mehr Lärm machen diese Fahrzeuge beim Parkieren: Beim Abstellen oder Öffnen geht eine ohrenbetäubende Warnsirene los mit einer Sequenz von elektronischen Tönen. Diese machen einen grossen Teil der Geräuschpegels in den Strassen und auf den Trottoirs der Stadt aus.
So lange wie in Kashgar waren wir noch an keinem Ort auf unserer Reise. Ich glaube, ich könnte gut nochmals ein paar Wochen hier bleiben, es würde mir nicht langweilig werden. Es gäbe in der weiteren Umgebung noch viel Interessantes zu sehen. Doch ist für uns Kashgar in erster Linie ein Ort der Erholung und Entspannung. Nach den Strapazen der letzten Wochen und Monate geniessen wir es, hier fast ein wenig sesshaft geworden zu sein. Im Hotel Seman fühlen wir uns so etwas wie zuhause. In John’s Infocafé, einer Art Gartenwirtschaft im Innenhof des Hotels, gehen wir oft essen und nutzen das WLAN (kabellose Internet-Verbindung). Dort haben wir auch endlich wieder einmal Lesestoff gefunden, den andere Reisende zurückgelassen haben. Reto liest jetzt einenfranzösischen Krimi (den ich vorher verschlungen habe) und ich werde versuchen, dem Plot eines auf englisch geschriebenen Krimis zu folgen. Vorher haben wir zwei Novellen von Stefan Zweig in einer chinesisch-deutschen Ausgabe gelesen. Gross ist die Auswahl an nicht-chinesischen Büchern nicht. In den Buchhandlungen der Stadt gibt es ausschliesslich chinesische und uigurische Bücher. Wir freuen uns beide schon wieder auf das fast grenzenlose Angebot an Büchern in unserer geliebten Winterthurer Stadtbibliothek. Neben den Menschen, die wir vermissen, sind Bücher und Musik wahrscheinlich das, was uns unterwegs am meisten fehlt.
Wenn alles wie geplant klappt, reisen wir morgen nach Kirgistan weiter. Da der Torugart-Pass und die Strasse dorthin für allein reisende Ausländer gesperrt sind, dürfen wir nicht selber fahren. Wir müssen die Velos für die 170km auf ein Fahrzeug mit chinesischem Fahrer verladen. Doch davon handelt dann der nächste Bericht.