Bukhara

Die Weiterfahrt zur usbekischen Grenze führt uns weiterhin durch flache Wüstenlandschaft. Nur auf den bewässerten Flächen ist Landwirtschaft möglich. Das Wasser stammt aus dem Amu Daria, welcher die Hauptquelle des rasch schrumpfenden Aralsees ist. Unser reichlich fliessender Schweiss kann das Problem kaum mildern, da die Tropfen verdampfen, bevor sie auf den Boden fallen. Nach etwa 30 km erreichen wir den Grenzübergang. Es hat praktisch nur Lastwagen, die den internationalen Güterverkehr abwickeln. Da unsere Abfertigung separat erfolgt, kommen wir relativ zügig durch die beiden Posten. Wir müssen wohl x Mal unsere Pässe und Visa vorweisen und Formulare ausfüllen, aber die Kontrollen sind doch recht lasch. Auch unser Reisebegleiter Vincent atmet nach dem Verlassen Turkmenistans mächtig auf, fehlt ihm doch seine Bargelddeklaration, die er bei der Einreise hätte ausfüllen müssen. Erst mit dieser Deklaration ist es möglich, eingeführtes Fremdgeld aus dem Land auch wieder auszuführen.

Auf usbekischer Seite ändert sich die Landschaft kaum, und die Temperaturen bleiben auf Backofenniveau. Wegen der späten Öffnungszeiten des Grenzübergangs (9 Uhr morgens) sind wir jetzt in der grössten Hitze unterwegs. Pausen sind auch nur an den spärlichen Schattenplätzen möglich, da das Stehen in der prallen Sonne noch unangenehmer ist als das Fahren. Am späteren Nachmittag erreichen wir eine Ortschaft und kaufen Mittagessen und Vorräte für die Übernachtung im Zelt. Unser Mahl dürfen wir in einem benachbarten Restaurant einnehmen, auch wenn wir nur den Tee vom Restaurant beziehen. Während dem Essen merken wir, dass draussen der Wind mächtig auffrischt und kurz darauf bricht ein Gewitter los. Für die Leute vom Dorf ein überraschendes Ereignis in dieser Saison und für uns ein Gottesgeschenk, macht es doch das Fahren etwas erträglicher. Auf der Suche nach einem Zeltplatz biegen wir in eine kleine Nebenstrasse ab und hoffen, so von den Leuten weg zu kommen. Als wir einen Obstgarten mit gemähten Wiesen entdecken, glauben wir uns schon am Ziel. Bald entdecken wir jedoch, dass es noch Landarbeiter im Garten hat und dass hinter Büschen versteckt ein nahes Dorf liegt. So machen wir die vermeintliche Autortätsperson der anwesenden Personen aus und fragen um Erlaubnis, unsere zwei Zelte aufzustellen. Es wird uns ein Platz auf einem Feldweg zugewiesen, der sich später als recht brauchbar herausstellt. Am nächsten Morgen nehmen wir das letzte Stück bis nach Bukhara in Angriff. Wir können unseren Zeitplan wieder selbst bestimmen und fahren früh los. So gelingt es uns, noch vor der grössten Hitze ans Ziel zu kommen. Schon bei der Einfahrt in die Stadt besticht Bukhara durch seine weithin sichtbaren Kuppeln von Moscheen und Minarette. Am Rande der Altstadt liegt der Ark. Es ist eine Festung mit dicken, tonnenförmig ausgewölbten Mauern. Der Ark war Regierungssitz einer Reihe von Emiren, welche Bukhara von Mitte des 18. bis anfangs des 20. Jahrhunderts regierten. Ihr Herrschaftsgebiet umfasste nicht nur die Stadt selbst, sondern auch deren Umland. Berühmt wurden einzelne dieser Emire, da sie nicht nur den Expansionsgelüsten des zaristischen und später sowjetischen Russlands Widerstand leisteten, sondern auch denen des viktorianischen Englands. Auch wenn Bukhara eine sehr religiöse Stadt mit einer Vielzahl von Moscheen und Koranschulen war, kursieren viele Legenden über die Grausamkeit und Eitelkeit vieler dieser Emire. So wurden anscheinend zwei Abgesandte der Queen Viktoria nach mehrjähriger Gefangenschaft hingerichtet, weil sie sich nicht protokollgemäss verhalten hatten und den herrschenden Emir nicht als ebenbürtig mit der Queen behandelten. Vor der Zeit der Emire gehörte Bukhara zu Persien und war eine der Hochburgen von Wissenschaft und Kunst. Die Stadt war auch bis tief ins 20. Jahrhundert ein Ort der religiösen Koexistenz und hatte, neben anderen religiösen Gruppen, einen namhaften jüdischen Bevölkerungsanteil. All diese Zutaten verleihen der Stadt eine starke Anziehungskraft und unsere Neugierde ist gross. Gleich am Abend unserer Ankunft wird unsere Entdeckungslust jedoch drastisch zurückgestutzt: Beide leiden wir unter starkem Durchfall, bei mir kommen noch Erbrechen und vehemente Krämpfe in beiden Beinen hinzu. Als ich nach 24 Stunden im Bad ohnmächtig zusammenbreche, beschliessen wir einen Arzt kommen zu lassen. Nach kurzer Zeit erscheinen zwei weiss gekleidete, sympathische Personen, eine Frau und ein Mann, beide sehr jung. Der Mann trägt eine Art Kochmütze, was ihn wahrscheinlich als Arzt ausweist. Mit Hilfe des mittelmässig englisch sprechenden Sohns der Hotelbesitzer versuchen wir, den bisherigen Krankheitsverlauf und die Symptome zu schildern. Dann wird entschlossen gehandelt: Der Sohn wird beauftragt, in der Apotheke Medikamente zu besorgen, mir werden zwei Pillen aus der Manteltasche des Arztes verabreicht und er misst mir den Blutdruck. Als der Sohn mit einer Flasche Infusionslösung und einer Schachtel zurückkommt, beginnt die Suche nach einer Schnur, um die Flasche an einer Türe des Zimmerschranks aufzuhängen. Rosa Maria hilft mit unserer Wäscheleine aus. Die Flasche wird mit der Anschlussöffnunng für den Infusionsschlauch nach unten in die Einkaufstüte der Apotheke gestellt und beides zusammen mit der Wäscheleine am Schrank aufgehängt. Durch die Tüte hindurch wird der Stutzen des Infusionsschlauchs in die Flasche gesteckt. Kurz bevor der Arzt die Kanüle des Infusionsschlauchs in meine Vene stechen kann, interveniert Rosa Maria ein zweites Mal und spritzt etwas Merfen aus unserer Notfallapotheke in meine Armbeuge. Der Arzt nimmt es wohlwollend zur Kenntnis und schliesst die Infusion an. Während die Lösung in meinen ausgetrockneten Körper rinnt, untersuchen der Arzt und seine Helferin interessiert unsere gutdotierte Reiseapotheke, und ich meditiere über die Tatsache, dass ich schon mehr als das Doppelte der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Bewohners von Bukhara vor hundertfünfzig Jahren erreicht habe. Am Ende müssen wir die beiden netten Helfer noch überzeugen, eine kleine Entschädigung für ihren Einsatz anzunehmen. Jetzt, drei Tage nach ihrem Besuch, fühle ich mich wieder gut und fast bei vollen Kräften. Ein Teil vom Reiz des Reisens liegt ja darin, dass nicht alles wie zu Hause ist. Nach zwei Tagen Aufpäppeln in unserem mit Klimaanlage gekühlten Hotelzimmer, wagen wir uns dann mit wackligen Beinen auf Streifzüge in der Gluthitze Bukharas. Unser anfänglicher Eindruck über den historischen Kern der Stadt bestätigt sich:  Er ist wirklich schön, und wichtige Teile davon sind sehr geschmackvoll renoviert. Dass er praktisch Autofrei ist und es viele einheimische Velofahrer gibt, verleiht ihm zusätzliche Attraktivität. Einzig die gewaltige Hitze wirkt abschreckend. Sie ist so gross, dass sich der an einzelnen Orten verwendete Bodenbelag aus Steinkacheln stellenweise aufwölbt. Beim Darüberfahren mit dem Fahrrad klappert es wie auf einem Xylophon. Wir werden voraussichtlich noch zwei, drei Tage hier bleiben und dann nach Samarkand, der früheren Rivalin von Bukhara, weiterfahren. Von dort gehts in die Berge nach Tadjikistan, wo uns hoffentlich angenehmere Temperaturen erwarten.




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